Europas digitale Souveränität beginnt bereits in der Grundschule

Christian Gericke, Chief of Regulatory & Public Affairs bei der d.velop AG

„Digitale Souveränität ist ein Schlagwort, das zwar gerne und häufig in politischen Reden und Strategiepapieren verwendet, in der Praxis aber fast immer viel zu kurz gedacht wird. Schnell geht es dann nur noch darum, wer welche Cloud hostet oder woher die verwendete Hardware stammt. Doch wenn es um echte Souveränität gehen soll, darf nicht nur die Abhängigkeit von US-amerikanischen Cloud-Anbietern oder chinesischen Hardware-Ausrüstern im Fokus stehen. Ein Kommentar von Christian Gericke, Geschäftsführer bei d.velop mobile services, Chief of Public Affairs bei d.velop und Vizepräsident des Bundesverbands IT-Mittelstand e.V. (BITMi).

Wir sollten uns vielmehr die Frage stellen: Wird Europa zukünftig in der Lage sein, die digitale Transformation nach eigenen Werten und mit eigenen Lösungen zu gestalten? Heute ist es der Kontinent nicht. Ambitionierte Projekte der EU wie Gaia-X verlaufen im Sand und selbst im öffentlichen Sektor wird immer wieder auf die Angebote der großen Player zurückgegriffen.

Wollen wir das ändern und echte europäische Alternativen schaffen, müssen wir drei Dinge tun:

1. Uns von der Idee eines zweiten Silicon-Valley verabschieden – den immensen Vorsprung der Kalifornier werden europäische Tech-Unternehmen niemals einholen können. Der Versuch im großen Stil wäre eher Ressourcenverschwendung.

2. Uns auf echte Potenziale konzentrieren – diese liegen in Europa und besonders in Deutschland mit seinem Mittelstand in der Nische, nicht in der Masse. Spezialisierte B2B-Angebote und hochsichere Dienstleistungen beispielsweise für den öffentlichen Sektor erscheinen vielversprechend.

3. Die digitale Transformation endlich als integralen Bestandteil des Alltags anerkennen. Dies bedeutet auch Digitalerziehung möglichst frühzeitig in Bildungspläne zu integrieren. Denn Kinder kommen immer früher mit Technologie in Berührung und das oft unbegleitet und unkontrolliert. Das bloße Konsumieren neuer Technologie ohne kritisches Hinterfragen kann langfristig allerdings zu einem großen Problem werden: Digitale Souveränität spielt sich schließlich nicht nur auf der technischen Ebene ab. Dafür sind auch mündige Bürger notwendig, die in der Lage sind, fundierte Entscheidungen zu treffen und die Verantwortung für ihre eigene Technologienutzung zu tragen. Zur sozialen Dimension digitaler Souveränität gehört es auch, Diversität in der IT wirklich ernst zu nehmen und Frauen viel stärker zu integrieren.

Nur wenn wir uns diesen Herausforderungen stellen, wird es zukünftig gelingen, digitale Wertschöpfung auf Basis europäischer Werte und europäischen Rechts zu etablieren. Im B2B- und Business-to-Government(B2G)-Bereich gibt es noch große Potenziale. Um diese sinnvoll zu nutzen, muss es allerdings auch gelingen, eigene Produkte mit geschützter Intellectual-Property zu entwickeln, die langfristig gewinnbringend vermarktet werden können. Die Rechteinhaber sollten dabei in der Jurisdiktion der EU angesiedelt sein oder zumindest vollständige Einhaltung von EU-Recht verbindlich zusichern und für dessen lückenlose Umsetzung sorgen.

Deutschland ist an sich gut aufgestellt, um eine Führungsrolle in einem digital-souveränen Europa zu spielen. Mit einem innovativen Mittelstand – auch in der Digitalbranche – haben wir hierzulande beste Voraussetzungen, um die Nischen für hochspezialisierte Lösungen zu besetzen. Dafür braucht es allerdings ein Umdenken in der Gesellschaft, um sich auf das digitale Zeitalter einzustellen und vor allem konkrete Aktionen seitens der Politik statt Rhetorik und theoretischen Überlegungen. Die heimische Digitalwirtschaft sollte gezielt gefördert werden und wir müssen Digitalkompetenz flächendeckend in die Lehrpläne integrieren – bereits ab der Grundschule.“

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