Doktor KI – wie kann künstliche Intelligenz in der Medizin wirken?

Isabela Buhai, Head of Delivery für Health & Life Sciences bei Endava

ChatGPT hat einen wahren KI-Hype ausgelöst. Unternehmen aller Branchen suchen inzwischen nach Möglichkeiten, künstliche Intelligenz einzusetzen, um Prozesse effizienter zu gestalten, Mitarbeiter zu entlasten oder neue Angebote für Kunden zu schaffen. Auch im Gesundheitswesen kann KI einen deutlichen Mehrwert bringen und dazu beitragen, dass wir uns ganz auf die Patienten konzentrieren können. Wie genau, erklärt Isabela Buhai, Head of Delivery für Health & Life Sciences bei Endava, anhand von drei Beispielen.

Bei all dem Hype der letzten Monate um generative künstliche Intelligenz – siehe ChatGPT, aber auch Googles-Bard, den Bildgenerator Midjourney oder den Stimmgenerator Resemble-AI – könnte man schnell vergessen, dass KI kein neues Phänomen ist. Die Technologie wird schon lange erforscht und stetig weiterentwickelt, um neue Anwendungsszenarien zu erschließen. Die neusten Fortschritte bei generativer KI sind nur ein Ergebnis dieser Arbeit.

Weitere werden wir in den nächsten Jahren auch im Gesundheitswesen sehen. Dass die Branche insbesondere durch den Fachkräftemangel unter großem Druck steht, ist kein Geheimnis. Es drohen 1,8 Millionen offene Stellen im Jahr 2035 – ein Kapazitätsengpass von 35 Prozent. Die Folge ist eine Verschlechterung der Versorgung, weil sich das Personal immer weniger Zeit für den einzelnen Patienten nehmen kann. KI bietet nicht nur die Chance, dem entgegenzuwirken, sondern auch zu einer besseren Patientenversorgung im Allgemeinen beizutragen, wie die folgenden Beispiele zeigen:

 

Schnellere und bessere Diagnostik

Kürzlich stellte das Team um die Radiologin Kristina Lång von der Universität Lund in Schweden ein Zwischenergebnis ihrer Studie vor, in der Ärzte beim Brustkrebs-Screening von einer KI unterstützt wurden. Das Ergebnis: Die Kombination aus Arzt und KI entdeckt auf Röntgenaufnahmen nicht nur häufiger Brustkrebs als zwei Ärzte, die normalerweise die Aufnahmen untersuchen. Zudem sinkt auch die Arbeitslast der Radiologen um 44 Prozent.

Bei solchen Aufgaben zeigt sich eine Stärke von KI: Sie kann mit riesigen Datenmengen trainiert werden, um anschließend Muster bzw. Abweichungen in diesen zu erkennen. Und darin ist sie oftmals besser als der Mensch, der womöglich Unregelmäßigkeiten übersieht, sei es aufgrund von Unerfahrenheit, Zeitmangel oder weil sie gerade in frühen Stadien für das menschliche Auge kaum zu entdecken sind. Natürlich muss am Ende immer ein Arzt die Diagnose stellen, aber eine KI kann dabei wichtige Hinweise geben. Das spart zudem in doppelter Hinsicht Zeit: Etwaige Krankheiten können frühzeitig entdeckt werden – was die Heilungschancen erhöht – und die Ärzte gewinnen Zeit, die sie ihren Patienten widmen können.

 

 Personalisierte Medizin

Jeder Mensch ist ein Individuum, dies lässt sich aber in der Medizin bisher kaum abbilden. Stattdessen stehen meistens Standardbehandlungen zur Verfügung, die aber individuellen Faktoren, etwa dem Stoffwechsel oder der genetischen Vorbelastung, nur bedingt gerecht werden können. Infolge kommt es beispielsweise zur Unter- oder Überdosierung von Medikamenten, mitunter mit tödlichen Folgen. Um dies zu verhindern, könnten Ärzte in Zukunft mithilfe einer KI analysieren, wie hoch die Dosierung jedes individuellen Patienten sein muss, abhängig von Alter, Geschlecht, Gewicht, Vorerkrankungen, Leber- und Nierenzustand und den Vitalparametern.

Dabei können auch Smartwatches eine Rolle spielen, die sich zunehmender Beliebtheit erfreuen. Sie sind heute schon in der Lage, verschiedene Gesundheitsdaten zu sammeln, die Patienten künftig ihren Ärzten zugänglich machen könnten. Durch die Verknüpfung mit einer KI, die diese Daten auswertet, kann die Smartwatch außerdem proaktiv wichtige Hinweise zur individuellen Gesundheit geben. Die Geräte von Apple können etwa schon vor einem unregelmäßigen Herzrhythmus warnen, einem Anzeichen für Vorhofflimmern.

 

Informationsübermittlung im Körper

Im Mai sorgte die Geschichte von Gert-Jan Oskam für Aufsehen: Der Niederländer ist seit einem Verkehrsunfall, bei dem er sich das Genick brach, querschnittsgelähmt. Doch dank zweier Implantate, die ihm unterhalb seiner Verletzung in der Wirbelsäule am Rückenmark und unter der Schädeldecke am Gehirn eingesetzt wurden, kann er seine Beine inzwischen wieder mit seinen Gedanken steuern. Möglich macht dies künstliche Intelligenz: Sie interpretiert die Nervenimpulse aus dem Gehirn, die anschließend über eine drahtlose Verbindung an das Implantat im Rückenmark weitergeleitet werden.

Bisher wurde das System erst an einer Person getestet, aber das Beispiel zeigt, wie Mediziner Störungen bei der Übertragung von Informationen im menschlichen Körper mithilfe von KI überbrücken können. Dies findet auch schon bei modernen Prothesen Anwendung: Diese machen sich zunutze, dass das Gehirn auch dann noch Bewegungssignale aussenden kann, wenn die entsprechenden Organe fehlen. Die KI ist in der Lage, aus diesen Signalen Bewegungsmuster zu erkennen und sie an die Prothese weiterzugeben. In diesem Fall trägt die Technologie dazu bei, Menschen (wieder) ganz neue Möglichkeiten zu eröffnen.

Künstliche Intelligenz in der Medizin bietet vielfältige Chancen und der anfängliche Hype wird zunehmend von konkreten Anwendungsfällen in den Schatten gestellt. Insbesondere hinsichtlich des drohenden Fachkräftemangels und überarbeitetem Personal bietet die Ergänzung durch KI im medizinischen Alltag einen erheblichen Mehrwert – sei es, um die Patientenversorgung zu optimieren oder innovative Lösungen für medizinische Herausforderungen zu erforschen.

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