Die Internetinfrastruktur in Zeiten von COVID-19

Dr. Christoph Dietzel, Global Head of Products & Research bei DE-CIX

Remote-Work, Video-Streamingdienste, Gaming: Durch die Maßnahmen, die im Zuge der globalen Corona-Pandemie durchgesetzt wurden, ist das Internet wesentlich stärker belastet. Der Datenverkehr wuchs innerhalb weniger Wochen um ein Vielfaches an. Doch schafft es das Internet überhaupt, diesen Zuwachs zu bewältigen? Oder wird es bald so stark ausgelastet sein, dass eine stabile digitale Vernetzung nicht mehr gewährleistet werden kann? Dr. Christoph Dietzel, Global Head of Products & Research bei DE-CIX, geht dieser Frage nach und gibt einen Einblick in die aktuelle Internetnutzung.

„Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Anforderungen an das Internet seit Jahren wegen der vermehrten Nutzung und des steigenden Datenverkehrs wachsen. Aufgrund neuer Services und technologischer Entwicklungen, die das Netz beanspruchen, werden an der globalen Internetinfrastruktur laufend technische Optimierungen vorgenommen. Nach einer Einschätzung von Cisco werden 2023 schätzungsweise 29,3 Milliarden Geräte am Internet angeschlossen sein, was fast vier Geräte pro Kopf entsprechen würde. Diese werden zu Spitzenzeiten rund 1.209 Terabit pro Sekunde (TBit/s) senden und empfangen. Zur besseren Veranschaulichung: diese Zahl entspräche 48 Millionen parallellaufender Netflix-Streams in 4K.

Diese Entwicklung hat nicht zuletzt durch COVID-19 und das daraus resultierende Social-Distancing in den letzten Monaten schneller an Fahrt aufgenommen: Einerseits nutzen Arbeitnehmer im Home-Office verstärkt Videotelefonie und andere kollaborative Remote-Work-Tools, andererseits bleiben wir im Privatleben über das Internet mit Freunden und Familie in Kontakt. Darüber hinaus suchen die Menschen zu Hause über Video-Streamingdienste und Online-Gaming nach Unterhaltungsmöglichkeiten. Anhand von Messungen über einen Zeitraum mehrerer Wochen am weltweit größten Internetknoten DE-CIX in Frankfurt am Main, konnten wir einen Anstieg des Datenverkehrs in den verschiedenen Dienstklassen Video on Demand (VoD), Collaborative Work und Gaming beobachten. Der Traffic für Dienste, die im Home-Office genutzt werden, verdoppelte sich – im Bereich Online-Gaming wuchs er um 50 Prozent.

Es ist daher sehr gut nachzuvollziehen, dass sich Anwender fragen, ob die aktuelle Internetinfrastruktur diesem Wachstum standhalten kann. Es gibt innerhalb des globalen Ökosystems des Internets mehrere kritische Punkte, die es in einer solchen Situation zu beobachten gilt. Das Internet besteht, vereinfacht dargestellt, aus drei verschiedenen Teilnetzen: Endkundennetze, Transportnetze und Dienstbetreibernetze. All diese Netze sind durch Netzübergänge oder Übergabepunkte verbunden, über die unsere Datenpakete von einem Netz ins andere transportiert werden. Will der Verbraucher beispielsweise einen Film auf Netflix schauen, sendet er die Anfrage über das Netz, in dem er sich als Endkunde befindet, über einen Netzübergang in ein Transportnetz oder direkt in das Dienstbetreibernetz – gleiches gilt dann auf umgekehrtem Weg. Die Geschwindigkeit der gesendeten und zu empfangenden Datenpakete hängt einerseits von der Anschlusskapazität des DSL-Anschlusses im Endkundennetz ab, andererseits von den Netzübergängen (wie beispielsweise einem Internetknoten), die die Teilnetze verbinden, oder auch von der vorhandenen Serverinfrastruktur der Dienstbetreibernetze. Netzübergänge, wie der DE-CIX, könnten in diesem Szenario zu Flaschenhälsen werden, sollten die angeschlossenen Netze nicht genügend Anschlusskapazitäten vorweisen. Die Internetknotenpunkte selbst halten stets genügend Kapazität vor und sind im Allgemeinen lediglich zu 50% ausgelastet.

Doch kein Grund zur Sorge: Zum einen sind die einzelnen Teilnetze in Sachen Knotenpunktanschlüsse schon sehr gut aufgestellt. Zum anderen übertragen Service-Provider ihre Inhalte teilweise auf Server direkt in den Endkundennetzen. So vermeiden sie, dass die entsprechenden Daten ständig durch das Internet Ökosystem fließen müssen. Ausgehend davon, dass die Einschränkungen im Zuge der Pandemie nicht für die nächsten Jahre aufrechtgehalten werden, stößt das Internets noch lange nicht an seine Grenzen.“

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