IT-Trends 2023: KI, Green-IT und der Mensch im Mittelpunkt

„Was wird der IT-Trend des Jahres 2023?“, ruft der Chronist in den Saal der Propheten. „Security, Security, Security“, kommt es unisono zurück. „Nein, das hatten wir schon. Was anderes.“ „KI, KI. KI“, hallt es aus allen Ecken. Wirklich aus allen? Eine kleine Schar von Aufrichtigen verteidigt ein paar andere Themen, die allerdings nicht minder wichtig sind. Energie, Cloud oder Kundenkommunikation zum Beispiel. Netzpalaver hat die Experten nach ihren Einschätzungen befragt und eine breite Vielfalt an Antworten erhalten.

Dass Security die Grundlage bildet, um IT-Architekturen zu betreiben, liegt auf der Hand. Aber Security ist nun nicht wirklich der Kern des Geschäftes, sondern Mittel zum Zweck. Die ursprüngliche Aufgabe der digitalen Transformation liegt vielmehr darin, Geschäftsprozesse so zu unterstützen, dass sie das Business fördern. Künstliche Intelligenz und Machine-Learning etwa haben zweifellos das Zeug dazu, neue Modelle der Software-Entwicklung, der Automatisierung von Geschäftsprozessen oder der Kommunikation mit dem Kunden zu schaffen.

„KI wird dabei helfen, Routinetätigkeiten von Führungskräften und elementaren Ressourcen eines Unternehmens fernzuhalten“, umreißt Sven Hartmann, Vice President Sales bei Asseco Solutions, die grundlegende Erwartung an die Technologie. „Das verschafft ihnen die Zeit, sich mit den wesentlichen Fragen des Wandels zu beschäftigen.“ Das ist zwar sehr allgemein, aber beschreibt ganz gut die Erwartungen, die darin gesetzt sind.

 

Als ewige Zukunftshoffnung haben sich KI und ML in den letzten Jahren ganz konkrete Einsatzfelder erarbeitet und sind in vielen Bereichen nicht mehr wegzudenken. Mit ChatGPT von OpenAI gab es besonders in den vergangenen Monaten einen neuen Hype. „Derartige Tools haben das Potenzial, neue Geschäftsmodelle schnell umzusetzen“, erklärt Nikolai Skatchkov, Mitbegründer und CEO von Circula. „Das wird aber auch unsere Arbeitswelt drastisch verändern.“ Und schon folgt auf die Aussicht, den Menschen bei leidigen Routineaufgaben zu unterstützen, die Frage nach der Ethik.

 

„Datenmanagement, Datenqualität und Meta-Datenmanagement müssen künftig mit KI und ML ausgestattet sein, um jede Phase des Prozesses zu automatisieren“, weiß auch Laura Martin, Customer Success Director EMEA bei Conga. Und sie weist im gleichen Zuge darauf hin, dass dies nicht ohne entsprechende Richtlinien funktionieren wird: „Ethische Gesichtspunkte gewinnen zunehmend an Relevanz, und die Gesetzgeber beginnen, den Rahmen für KI zu entwickeln.“ Dazu zählt beispielsweise der Artificial-Intelligence-Act der EU.

 

Der Kunde im Fokus

Tatsächlich sehen viele der Protagonisten den Einsatzbereich der KI auch in der Kundenkommunikation. „KI wird zunehmend dazu beitragen, positive Kundenerlebnisse zu schaffen. Sie ermöglicht es heute, das Handeln der Kunden in Echtzeit zu analysieren“, erläutert Thorben Fasching, Executive Partner bei Reply. Der Kunde agiert vielfältig und multidiversional. „KI ist heute in der Lage, sogar Emotionen wie Ironie, Zynismus oder Euphorie zu erkennen.“ Und das eröffnet neue Möglichkeiten der Reaktion und Bindung.

 

Auch Marco Krüger, VP Sales bei Enreach, plädiert für den Einsatz der Technik bei der Interaktion mit dem Kunden. „Die eigentliche Frage in Zeiten der Unsicherheit und des Personalmangels ist doch: Wie gehe ich mit dem Kunden um?“ Und hier helfen nach seiner Überzeugung die Einbindung des Kunden über Contact-Center und der Einsatz von KI bei Chats und Sprachbots. Dabei verweist er darauf, dass dies längst nicht mehr nur eine Option für Großunternehmen ist. „Das gilt inzwischen auch für die Gastronomie, das Autohaus oder die medizinische Praxis.“

Aber nicht nur die KI kann dabei helfen, den Kunden im Fokus zu behalten und die Interaktion mit dem Unternehmen zu verbessern. In vielen Fällen kann der Einsatz eines Service-Management-Systems mehr Kundenzufriedenheit schaffen, inklusive Transparenz und Kosteneffizienz. „Ein unternehmensweites Enterprise-Service-Management überträgt den Service-Gedanken in die gesamte Organisation und schafft die Möglichkeit, sich von Wettbewerb abzuheben“, erklärt Alexander Weber, Geschäftsführer bei Labtagon. Und das schließt Funktionen wie Ticketsysteme, Vertragsverwaltung oder digitale Formulare ein.

 

Die Cloud lebt

Nachdem die Cloud über mehr als eine Dekade die Diskussion um die Zukunft der IT geprägt hat, ist der Hype merklich abgeflacht – vor allem wohl der Tatsache geschuldet, dass deren Nutzung in den meisten Organisationen zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Das bedeutet nicht, dass sich in diesem Umfeld nichts tun würde. Nur haben sich die Perspektiven verschoben. Es geht nicht mehr so sehr um das „Ob“, sondern um das „Wie“.  Die Cloud hat viele Facetten und jedes Unternehmen ist anders gestrickt.

Björn Brundert, Principal Technologist bei VMware, sieht vor allem drei zentrale Trends: „Wie beschleunige ich die Cloud-Transformation, wie nutze ich optimal die Leistungen unterschiedlicher Cloud-Anbieter und wie setze ich die Fähigkeiten der Multi-Cloud effizient ein?“ Und er verweist auf die Möglichkeiten, die Cloud zu nutzen, um etwa die Software-Entwicklung oder das hybride Arbeiten Cloud-übergreifend produktiver zu gestalten.

 

Dabei muss die Public-Cloud heute nicht einmal mehr die einzige Antwort auf die Herausforderungen der IT sein, meint zumindest Jürgen Bernert, Director Marketing & Sales bei Avision. „Momentan gibt es einen Trend, raus aus der Public-Cloud in Richtung auf eine Private-Cloud. Mancher stellt nun fest, dass die Public-Cloud vielleicht nicht ganz so skalierbar und nicht ganz so günstig ist wie gedacht.“ Und er verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die notwendigen Server für den Aufbau einer Private-Cloud durchaus auch von anderen Dienstleistern eingekauft werden können.

 

Abhängigkeiten reduzieren

Überhaupt: Das Thema Abhängigkeit von Herstellern und Dienstleistern scheint sich zu einem ernsthaften Trend zu entwickeln. Ging es beim Vendor-Lock-In in der Vergangenheit vor allem um die Hardware, so greift diese Frage nun in weiteren Bereichen Raum, etwa bei der Software-Entwicklung, dem IT-Management oder der Security. Während allerdings in Bezug auf die Hardware neue offene Schnittstellen und Software-definierte Lösungen für eine partielle Loslösung der Bindung an einen Produzenten geführt haben, so drückt in vielen Bereichen der Schuh an anderer Stelle: Fachkräftemangel. Nur, wie lässt sich dem begegnen? Durch Automatisierung.

„Die Abhängigkeit von einem Hersteller oder Dienstleister ist preislich und hinsichtlich der Reaktion auf die gestellten Anforderungen schwierig“, meint Florian Schönknecht, stellvertretender Geschäftsleiter bei Eramon. „Unternehmen werden nicht darum herumkommen, die Abhängigkeiten zu reduzieren und dem Fachkräftemangel zu begegnen.“ Aber wie soll das in der Praxis funktionieren? Die Formel heißt für ihn Automatisierung und Reduzierung der eingesetzten Tool-Landschaft.

 

Auch Ralf Koenzen,  CEO von Lancom Systems, sieht in der Automatisierung eine unverzichtbare Maßnahme, vor allem im Bereich der Netzwerke: „Unternehmen stehen vor zwei Herausforderungen, die Kosten zu senken und die Qualität zu erhöhen. 5G und Fiber sind das eine, aber Automatisierung ist ein Muss.“

 

Kosten senken und gleichzeitig die Qualität erhöhen – das ist offenbar in allen Bereichen der IT eine gängige Maxime und gilt auch für die Software-Entwicklung, die sich in den letzten Jahren radikal verändert hat. Die Stichwörter heißen hier Gitops und Low-Code, die beide längst keine Nischenthemen mehr darstellen, sondern gangbare Wege, die auf ausgereifte Tools zurückgreifen können.

„Die Nachfrage nach Low-Code-Plattformen wird in 2023 weiterhin ansteigen“, ist sich Philipp Erdkönig, Consultant bei Webcon, sicher. „Aber die müssen sich noch weiterentwickeln, weil der Output noch zu bescheiden ist.“ Seine Idee ist die Vision einer Anwendungsfabrik, in der das Know-how gebündelt wird, um es produktiv einzusetzen.

 

Auch Johannes Schnatterer, Technical Lead Infrastructure and Consulting bei Cloudogu verweist auf die neuen Möglichkeiten der Software-Entwicklung und bringt hier GitOps ins Spiel, ein neues Konzept, bei dem der IT-Betrieb noch weiter automatisiert werden soll. „Ziel ist das Cloud-native Continous-Delivering. Dazu gibt es bereits ausgereifte Tools und eine lebhafte Community.“ Von da her steht nach seiner Ansicht dem Einsatz von GitOps im produktiven Betrieb nichts mehr im Wege.

 

Green-IT auf dem Vormarsch

Eine der wesentlichen Anforderungen an die IT ist es, Unternehmen dazu zu ertüchtigen, auf neue Aufgaben reagieren zu können. Dazu muss auch die IT selbst in der Lage sein, neue Problemstellungen aufzugreifen und in der Praxis umzusetzen. Derzeit sind das einerseits natürlich alle Fragen der Datensicherheit und -integrität, aber zunehmen tritt auch das Problem des Energieverbrauchs in den Vordergrund. Hier zeigen die Experten eine Reihe möglicher Maßnahmen auf. Schließlich sind bereits heute Rechenzentren für etwa 3 Prozent des EU-weiten Energieverbrauchs verantwortlich.

Deshalb wird nach Ansicht von Radek Stolar, Director Business Development & Strategy bei Rittal, die Frage der Nachhaltigkeit den größten Einfluss auf Businessmodelle, Produkte und Lieferketten haben. „Hersteller, Betreiber und Nutzer sind hier gemeinsam in der Verantwortung“, ist sein Resümee. Er definiert vor allem fünf Kernbereiche: Nutzung erneuerbarer Energien, Wasserverbrauch, Wärmerückgewinnung, Ressourcenschonung und Energieeffizienz.

 

Auch Ludwig von Reiche, Geschäftsführer von Nvidia Deutschland, sieht das Thema als vordringlich an. „Green-IT rückt zunehmend in das Bewusstsein der Menschen und schließlich auch der Politik“, analysiert er. „Cloud-Dienste betreiben riesige Rechenzentren mit einem enormen Energiebedarf. Ein erheblicher Teil davon geht auf das Konto der Prozessoren. Im Jahr 2023 werden hier große Schritte möglich werden.“

 

Peter Dümig, Senior Product Manager Server bei Dell sieht ebenfalls die Energieeffizienz als großes Thema, neben dem Edge-Computing und der Security einschließlich Zero-Trust. Für ihn liegt der erste Schritt zur Lösung dieser Probleme bei der Auswahl entsprechende funktionaler Hardware. „Es fängt klein an, schon beim Gerät“, ist sein Ratschlag.

 

Er erhält dabei Unterstützung von Sascha Giese, dem Head Geek von Solarwinds. Der verweist auch auf die betriebswirtschaftliche Komponente der Energieeinsparung. Bei dem derzeitigen Preisniveau werden Unternehmen nach Möglichkeiten suchen, die Energiekosten zu senken. „High-Density-Umgebungen sind schon lange ein Thema. Die Hardware mag jetzt etwas teurer sein, wird sich aber schnell amortisieren“, ist seine Überzeugung. Während dieses Problemfeld ehedem lediglich für Großanwender interessant war, so sind es nach seiner Ansicht heute auch mittlere und kleinere Unternehmen, die hier ein Potenzial zur Optimierung finden.

 

Wie breit gefächert die Möglichkeiten sind, Energie einzusparen oder zumindest sinnvoll zu nutzen, zeigt das Statement von Heiko Ebermann, Senior Program Manager Infrastructure Solutions bei Vertiv. Er nennt das Thema Liquid-Cooling als Beispiel: „Mit Flüssigkeitskühlung ist es heute möglich, 70 bis 80 Prozent des Wärmestroms abzuführen.“ Das erspart nicht nur einen Großteil der mechanischen Kühlung, sondern eröffnet auch die Möglichkeit, die entstandene Wärme sekundär zu nutzen.

 

Kosten und Bedürfnisse

Selbstverständlich gibt es all diese Lösungen nicht zum Nulltarif. Sie erfordern nicht nur ein wachsendes Bewusstsein und entsprechendes Know-how, sondern verursachen teils auch signifikante Kosten, deren Amortisation sich in die Länge ziehen kann. Das kann sich nicht jedes Unternehmen leisten. „Es gibt derzeit viel Unsicherheit. Steigende Energiekosten und Inflation führen zu verminderten Investitionen“, analysiert Starface-Geschäftsführer Jürgen Signer die gegenwärtige Lage. Er prognostiziert deshalb, dass Miet- und Abomodelle ihren Siegeszug bei der Finanzierung der IT fortsetzen werden. „Bereits heute gehen 50 Prozent der Kunden diesen Weg.“

 

Die Prognosen für das Jahr 2023 zeigen vor allem eines: Security, KI und Green-IT werden die Branche in den nächsten Monaten auf Trab halten. Das unterscheidet die diesjährige Umfrage doch erheblich von den beiden vergangenen Jahren. Aber halt, war da nicht was? Ja, genau, Covid mit all den Implikationen für das neue Arbeiten. Kein Thema mehr?

Doch, sagt zumindest Jürgen Engelhard, Business Development Manager bei Mitel: „Hybrid-Work ist gekommen, um zu bleiben.“ Er erwartet, dass sich die hierfür erforderlichen Technologien entlang eines dynamischen Spektrums weiterentwickeln werden. In jedem Unternehmen gibt es unterschiedliche Stufen der Modernisierung und eben deshalb auch keine Patentrezepte. Aber: „Moderne hybride Arbeitsweisen sind schon deshalb erforderlich, um Fachkräfte und Talente zu binden.“

 

Damit spricht er ein Thema an, das bei allen technischen Entwicklungen und Finessen oftmals aus dem Mittelpunkt gerät: den Menschen. Carlos Kohl, Produktmanager und Leiter Produkthaus bei Consulting4IT, sieht darin allerdings den Kern aller Aktivitäten. „Wir müssen uns auf das Wesentlichen konzentrieren, nämlich Produkte in der IT herausbringen für die Menschen, die heute in der Praxis damit arbeiten müssen.“ Das ist oftmals leichter gesagt als getan, wenn wirtschaftliche, technologische oder gar politische Zwänge alle Aufmerksamkeit erfordern. Eines ist für ihn dabei zwingend: „Wir müssen mit den Menschen sprechen, die in der Sache arbeiten, nach ihren Wünschen und Bedürfnissen fragen und auf diese eingehen.“

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