Supply-Chain-Resilience – Was Hersteller von der US-Armee lernen können

Datengetriebene Lösungen rund um KI, prädiktive Analytik und Graphtechnologie versprechen Wege aus der momentanen Supply-Chain-Krise. Wie ein smartes Lieferkettenmanagement in der Praxis aussieht, zeigt ein Blick auf die Beschaffungs-, Budgetierungs- und Logistikprozesse der US-Armee.

Das Management von Lieferketten setzte schon immer hohe Flexibilität und Weitsicht voraus. Im Laufe der letzten zwei Jahren ist die Messlatte für zuverlässiges Supply-Chain-Management (SCM) in neue Dimensionen gerückt. Echte Supply-Chain-Resilience – also die Widerstandsfähigkeit gegenüber externen Krisen und Einbrüchen – scheint momentan unerreichbar. Hersteller aber auch die Transport- und Logistikindustrie haben mit den Nachwehen von COVID-19, hohen Rohstoff- und Frachtkosten sowie dem wachsenden Fachkräftemangel zu kämpfen. Komponenten lassen wochen- und monatelang auf sich warten, während die Preise in astronomische Höhen schießen.

Laut einer Umfrage von McKinsey investierten während der Pandemie zwar über 90% aller Supply-Chain-Manager in die Widerstandsfähigkeit ihrer Lieferketten. In der Regel beschränkten sich die Investitionen lediglich auf Adhoc-Maßnahmen wie die Erhöhung von Lagerbeständen. Nur langsam beginnen die Hersteller auf langfristige Effekte zu setzen. Dazu gehört neben dem Nearshoring von Zulieferern, auch die konsequente und durchgängige Digitalisierung der Supply-Chain.

Neue Technologien kommen heute deutlich häufiger zum Einsatz als zu Beginn der Pandemie. Dazu zählt das Echtzeit-Monitoring von Gütern, Prozessen und Beständen entlang der downstream- und upstreamgerichteten Supply-Chain sowie moderne Analytik auf Basis künstlicher Intelligenz (KI). Ziel ist es, Transparenz zu schaffen, um schneller und besser Entscheidungen treffen zu können – angefangen bei der Auswahl und Bewertung der Zulieferer, über die Bedarfs- und Bereitstellplanung bis hin zur Fertigung und dem Warehousing.

 

Analyse von mehrstufigen Lieferketten

Auf technischer Ebene ist diese Supply-Chain-Visibility nichts anderes als die vollständige und übergreifende Abbildung aller Informationen, die entlang einer Lieferkette anfallen. Um ein solches holistisches Datenbild jedoch in die Praxis umzusetzen, braucht es spezielle Datenbanksysteme.

Lieferketten von Unternehmen sind mehrstufig. Die Automobilindustrie zum Beispiel greift im Durchschnitt auf 250 Tier-1-Zulieferer sowie 18.000 Sublieferanten zu. Bei Technologieunternehmen sind es jeweils 125 und zusätzlich 7.000 Stakeholder. Um diese hochgradig vernetzten Daten effektiv zu analysieren und beispielweise alternative Zulieferer oder Drop-in-Ersatzteile zu lokalisieren, müssen die Systeme innerhalb der Lieferkette mehrfache Sprünge (sogenannte Hops) zurücklegen, und sich frei vor und zurück bewegen können.

Mit herkömmlichen relationalen Datenbanken, die Informationen in rigiden Zeilen und Spalten speichern, ist dies kaum möglich. Sie halten mit dem Volumen und der Komplexität der Supply-Chain-Daten nicht mit. Es fehlt an Datenverarbeitungskapazitäten und Echtzeit-Funktionalitäten.

 

US-Armee: Ausrüstung beschaffen, nachverfolgen, warten

Vor dieser Herausforderung stand auch die United-States-Army, die als Experte für Logistik und Distribution gelten kann. Als größte der insgesamt acht militärischen Einrichtungen der Vereinigten Staaten gehört sie auch zu den wichtigsten Regierungsorganisationen des Landes. Die US-Armee beschäftigt mehr als eine Million Soldaten im aktiven Dienst, in der Reserve und der Nationalgarde sowie rund 200.000 zivile Mitarbeiter. Der Bestand an militärischer Ausrüstung ist entsprechend groß und reicht von der Infanterieausrüstung (z. B. Waffen, Laser-Zielgeräte, Nachtsichtvisier) über Transport- und Versorgungsfahrzeuge (einschließlich Flugzeuge und Hubschrauber) bis hin zu persönlichen Ausrüstungsgegenständen (z. B. Uniform, Helme, Stiefel) und Hightech Systemen (z. B. Future Combat Systems, Drohnen, Roboter).

Diese immense Vielfalt macht die Beschaffung, Versorgung und Wartung zu einer logistischen Mammutaufgabe. Jedes Jahr müssen Millionen von Teilen und Hunderttausende von Geräten, Fahrzeugen und anderen Ausrüstungsgegenständen gemanagt werden – teilweise in schwer zugänglichen Gebieten. Um Kosten, Wartungszyklen und Lebensdauer der Ausrüstung zuverlässig zu erfassen und zu dokumentieren, sind detaillierte Stücklisten (BOM) nötig, die unzählige Informationen enthalten. Rund 80% der gesamten Lebenszykluskosten entfallen auf diesen Posten.

 

Graphtechnologie für die Bedarfsprognose

Neben der lückenlosen Dokumentation und Nachverfolgbarkeit gilt es zudem, die Bedarfsprognosen zu optimieren und den Verteidigungshaushalt besser zu prognostizieren. Eine wichtige Rolle spielen für die Verantwortlichen hier „What-if“-Szenarien: Was sind die logistischen Kosten bei der Verlegung von bestimmten Truppenteilen in neue Krisen- und Kriegsgebiete? Wie verändert sich die Lebensdauer von Fahrzeugen in bestimmten geographischen Umgebungen? Und wie lässt sich dort ein Ersatzteilemanagement sicherstellen? Diese Art der Abfragen gestaltete sich im veralteten Mainframe-System der Armee zunehmend schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich.

Die US-Armee begann daher, die zentrale Beschaffungs-, Budgetierungs- und Logistikprozesse zu digitalisieren und neue Technologien einzusetzen. Das US-Verteidigungsministerium entschied sich für Graphtechnologie und verarbeitet seitdem die logistischen Kernprozesse über die Graphdatenbank Neo4j. Das Datenvolumen ist dabei enorm. Die Stückliste für eine einzige Komponente eines Panzers umfasst so bis zu 10 Millionen Teile, die über mehr als 15 Millionen Beziehungen miteinander verbunden sind.

 

Abfragen in Sekunden statt Batchverfahren über Nacht 

Graphdatenbanken bieten eine hochgradig skalierbare Datenbanklösung, um solche komplexen und umfangreichen Netzwerke abzubilden und abzufragen. Das Modell des Graphen stellt Datenbeziehungen in den Mittelpunkt. Objekte (Knoten) und deren Beziehungen (Kanten) werden als verbundene Strukturen abgebildet. So entsteht ein realitätsnahes Bild der Lieferkette, in der Supply Chain Manager, Einkäufer und Techniker von jedem beliebigen Punkt aus ihre Abfragen starten. Graph-Algorithmen und Graph-Data-Science unterstützen bei komplexen Analysen und erhöhen den Automatisierungsgrad der Monitorings-Lösungen und Vorhersagesystemen.

Die Performance bleibt dabei weitgehend unabhängig von der Größe und Komplexität der Gesamtmenge der Daten. Entscheidend ist lediglich die Anzahl der für eine gewünschte Abfrage relevanten, konkreten Beziehungen. Selbst komplexe Analysen benötigen so wesentlich weniger Rechenleistung und Hardwarekapazitäten und lassen sich innerhalb weniger Sekunden statt in langsamen Batchverfahren über Nacht realisieren. Zudem lassen sich Daten (z. B. Zulieferer, Geräte) über das Knoten-Kanten-Prinzip jederzeit dem Graphen hinzufügen. Das Datenmodell wird nicht geändert, das System in seiner Arbeit nicht unterbrochen. Das garantiert hohe Skalierbarkeit, Flexibilität, Performance sowie Entscheidungen in Echtzeit.

 

Planbare Total Cost of Ownership

Die Vorteile im Vergleich zu relationalen Datenbanksystemen spürt auch die US-Armee. Dauerte es vorher im Durchschnitt eineinhalb Arbeitswochen (60h) ehe die Supply-Chain-Manager benötigte Ersatzteile X, Y, Z identifizieren konnten, lassen sich die Prozesse heute innerhalb eines Tages bzw. sieben bis acht Stunden abwickeln. Der Betrieb und die Wartung der Datenbankinfrastruktur selbst sind dabei mit deutlich weniger Ressourcen und Aufwand verbunden. Dank genauerer Bedarfsprognosen können bei Komponenten mit Millionen von Stückzahlen, die Bestellaufträge auf mehrere Quartale verteilt werden, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden. Das schafft mehr Freiraum in der Budgetierung. Die US-Armee kann damit die Total Cost of Ownership (TCO, Gesamtkosten des Betriebs) besser vorhersagen.

Die Integration mit Neo4j ermöglicht den Einsatz von bewährten Tools und Abfragesprachen wie Ruby, Python und Qlik, um die vernetzten Daten zu visualisieren und abzufragen. Statt die Frage selbst umständlich programmieren zu müssen, können Anwender die Graphdatenbank intuitiv durchsuchen und sich in erster Linie auf die Antworten und Suchergebnisse konzentrieren. Die Detailgenauigkeit der Daten bleibt dabei trotz einfacher Handhabung und anschaulicher Abbildung im Graphen erhalten.

Das Beispiel zeigt, wie SCM-Lösungen Lieferketten widerstandsfähiger machen können – auch unter außergewöhnlichen Bedingungen. Die derzeitigen Herausforderungen der Supply-Chain-Krise lassen sich zwar nicht allein mit einem Tool oder einem singulären Ansatz aus dem Weg räumen. Datengetriebene Technologien schaffen jedoch zumindest eine gute Ausgangsposition, um Prozesse weiter zu digitalisieren, zu automatisieren und so den nächsten Einbrüchen und Störungen zu trotzen.

Von Dirk Möller, RVP DACH & Emerging Regions bei Neo4j

Dirk Möller, RVP DACH & Emerging Regions bei Neo4j

Dirk Möller ist seit über 20 Jahren in der IT-Branche unterwegs. Dank leitender Positionen bei Unternehmen wie Symantec, MongoDB und Couchbase entwickelte er detailliertes Fachwissen im Bereich NoSQL und Graphdatenbanken. Als RVP DACH & Emerging Regions bei Neo4j unterstützt Dirk Möller Kunden, bestehende Datenbank-Lösungen zu ersetzen bzw. zu erweitern, Kosten einzusparen und mit der Graphdatenbank Neo4j echten Mehrwert aus Daten zu gewinnen.

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