Bald ist es so weit: Der WebRTC-Traum wird Realität

Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur
Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur

Oft angekündigt und immer wieder verschoben. Jetzt könnte das WebRTC-Versprechen zur Realität werden. Es trägt jedoch einen neuen Namen: AV1.

Auf dem Weg zu kostenlosen Videos ereigneten sich einige merkwürdigen Dinge. Begeben wir uns auf eine Reise ins Jahr 2010, als Google das WebM-Projekt ankündigte. Damals wollte Google ein offenes Videoformat für das Web auf die Beine stellen. Die Welt ging damals davon aus, dass der Browser-Anbieter zukünftig einen offenen, kostenlosen Codec unterstützen und damit das damals noch textdominierte Internet bereichern würde. Aber die Geschichte lief nicht wie geplant…

Das größte Hindernis bei der Einführung von Neuerungen sind die notwendigen Veränderungen in einem etablierten Markt. Viele Unternehmen waren mit der damals vorherrschenden Technologie (dem H.264-Codec) zufrieden. Ein Konsortium namens MPEG LA verwaltete und lizensierte die für H.264 benötigten Patente und der Codec war fest in die angebotenen Dienste und oftmals auch in die Hardware bei zahlreichen Anwendungen integriert. Aus diesem Grund sah die Industrie auch über viele Jahre keine Notwendigkeit, etwas an ihren Angeboten zu ändern. Aber die heute etwa 15 Jahre alte H.264-Technologie entstand vor der Entwicklung von 4K-Video, Virtual-Reality und Augmented-Reality.

Den im WebM-Projekt integrierte alternative VP8-Codec erhielt Google im Jahr 2010 durch die Übernahme von On2 Technologies. Google und andere Browser-Anbieter (Mozilla und Opera) brachten ihre WebM-Lösungen inklusive des kostenlosen VP8-Codecs auf den Markt. Obwohl WebM von 40 Partner promotet wurde, hat sich diese Lösung nie durchgesetzt. Weder Apple noch Microsoft unterstützten den WebM-Codec in ihren Browsern.

Aus dem WebM-Projekt wurde im Laufe der Zeit die WebRTC-Initiativen. Auch der Streit um den richtigen Codec endete im Jahr 2014. Die WebRTC-Entwicklungsteams beantworteten die Frage nach einem universellen, gebührenfreien Video-Codec und beschlossen sowohl VP8 als auch H.264 zu unterstützen.

Damit war jedoch die Entwicklung von Video-Codecs nicht beendet. H.264 entwickelte sich zu H.265 (HEVC) und VP8 zu VP9. Jede dieser Spezifikationen bot eine Reihe von Vorteilen und Kompromissen sowie Variationen in Support und Akzeptanz. Der Kampf um einen universellen, lizenzfreien Codec erschien verloren.

Im Herbst 2015 wurde die Initiative Alliance for Open Media (AOMedia) gestartet. Diese hatte das Ziel ein lizenzfreies Videoformat festzulegen. In der AOMedia fanden zunächst sieben große Marktteilnehmer zusammen, darunter Microsoft, Cisco, Apple und Amazon, und wurde schnell auf 12 Gründungsmitglieder plus 22 fördernde Mitglieder erweitert. Mit der Mitgliedschaft verpflichtet sich jedes dieser Unternehmen ihren Nutzern einen Zugang zu den lizenzgebührenfreien Techniken zu gewährleisten. Über die gebührenfreie Nutzung der Technik hinaus gehört zu den Zielen der AOMedia auch die Bereitstellung des H.265-Codecs, welcher als Open-Source-Referenz zur Verfügung steht. Um das Ziel der Lizenzkostenfreiheit zu erreichen, ist der Entwicklungsprozess so angelegt, dass kein Merkmal übernommen wird, bevor nicht zwei unabhängige Prüfungen bestätigen, dass keine Patente konkurrierender Unternehmen berührt sind. Die zum Standard beitragenden Firmen lizenzieren ihre AV1-Patente gemäß den vom World Wide Web Consortium (W3C) verabschiedeten Patentregeln auf der Grundlage der Gegenseitigkeit an jedermann, überall und zu jeder Zeit, also solange der Nutzer keine Patentrechtsstreitigkeiten verfolgt.

Dieses Arbeitsergebnis wurde von AOMedia im März 2018 als AV1-Spezifikation veröffentlicht. AV1 ist eine Ableitung des VP9- (und VP8-)Codecs. AV1 verspricht eine 30 prozentige bessere Kompression als VP9 und ist sowohl für Videostreaming als auch Echtzeitkommunikation konzipiert.

Inzwischen gehören zu den AOMedia-Mitgliedern alle wichtigen Browser- und Video-Streaming-Unternehmen, mehrere große Hersteller von Chipsätzen und Facebook. Die Gruppe wächst inzwischen weiter. Vimeos hat vor wenigen Wochen ankündigt ebenfalls AV1 zu unterstützen. Obwohl Apple den VP8-Codec nie unterstützt hat, beabsichtigt das Unternehmen die Integration von AV1 in seinen Betriebssystemen iOS und Safari. Im Bereich der Echtzeitkommunikation umfasst AOMedia Videokonferenzanbieter wie Cisco, Microsoft, Polycom, Vidyo, Facebook und Google.

Größer, besser, bunter…

Bis zum Ende des Jahres 2018 werden mehrere AV1-Implementierungen erwartet, welche Anfang 2019 dem Markt zur Verfügung stehen sollten. Ebenfalls wird im kommenden Jahr eine AV1-optimierte Hardware erwartet. Somit erfüllt AV1 inzwischen WebRTC-Träume und es wird erwartet, dass die Entwicklung in Riesenschritten voran gehen wird. Somit steht der lizenzfreien Videoübertragung nichts mehr im Weg.

#Netzpalaver