Atomausstieg und Reduzierung fossiler Brennstoffe auf der einen Seite, steigender Strombedarf durch Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen auf der anderen: Deutschlands Stromnetz ist der aktuelle Dreh- und Angelpunkt großer gesellschaftlicher Entwicklungen und politischer Entscheidungen. Ist die Energieversorgung den riesigen Herausforderungen langfristig gewachsen? Ein Kommentar von Rolf Bienert, Managing und Technical Director bei der OpenADR Alliance.
Auch wenn Heraklit im antiken Griechenland mit seinem berühmten Aphorismus „Panta Rhei“ – zu deutsch „Alles fließt“ – nicht unbedingt die Notwendigkeit der Sicherung des Stromflusses in der Bundesrepublik Deutschland gemeint haben mag, so behält das Sprichwort doch seinen wahren Kern. Alles muss fließen, am besten durch die Leitungen der Energieversorger zu Privathaushalten, Industrie und öffentlichen Einrichtungen. Auch die Tatsache, dass Energieverbrauch und -bedarf vor allem durch immer mehr Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen in neue Höhen steigen, lässt sich mit Heraklits Gleichnis beschreiben: Alles ist in Bewegung, nichts steht still. Vom griechischen Philosophen in die Gegenwart. Deutschland erlebt derzeit eine Zäsur in der Energieerzeugung und -versorgung, die nicht nur die Politik vor völlig neue Herausforderungen stellt. Die zentrale Frage dabei: Gelingt die Verkehrs- und Energiewende, ohne dass das deutsche Stromnetz in die Knie geht?
Zunächst die gute Nachricht: Kurzfristig besteht kein Grund zur Sorge, ganz im Gegenteil. Deutschland verfügt aktuell über genügend Reserven und produziert ausreichend Energie, um seinen Bedarf zu decken. Gleichzeitig ist der Anstieg an Elektrofahrzeugen gut kalkulierbar und wird in absehbarer Zukunft keine Dynamik entwickeln, die die Stromversorgung gefährden könnte – auch wenn der Trend bei den Neuzulassungen ganz klar in Richtung Plug-in-Hybride und reine Elektroautos geht. Das erwartete moderate Wachstum der elektrisch betriebenen Fahrzeuge bietet also genügend Handlungsspielraum, um die Energieversorgung für die steigenden Anforderungen fit zu machen. Und hier beginnt das Aber. Denn gelingt die Verkehrswende auf lange Sicht, wird die hohe Zahl der E-Autos auf deutschen Straßen zu einer Herausforderung. Jedenfalls dann, wenn alle involvierten Parteien in Sachen Innovationen auf der Stelle treten.
Worauf wird es also ankommen? Immer mehr dezentrale Möglichkeiten der Energieerzeugung und -speicherung, etwa durch Photovoltaik-Anlagen, setzen ein Smart-Grid voraus, das es den Stromversorgern ermöglicht, über ein dynamisches Lastmanagement Schwankungen auszugleichen und Lastspitzen entgegenzuwirken. Neben der hohen Zahl an Elektrofahrzeugen liegen Studien zufolge die größten Risiken nämlich in den gleichzeitigen Ladevorgängen, die zu einer wirklichen Gefahr für das Netz werden können. Alles fließt also, aber bitte nicht zur gleichen Zeit. Um Lastspitzen zu entzerren und gleichmäßig zu verteilen, eignen sich beispielsweise verschiedene Tarifmodelle, die zu unüblichen Ladezeiten einen günstigeren Strompreis anbieten. Für eine nahtlose Kommunikation und ein funktionierendes, flexibles Smart-Grid benötigen wir daher dringend branchenweite Standards und offene Protokolle, sowohl bei den Energieversorgern und Elektrofahrzeugen als auch bei den Verbrauchern. So wird aus dem traditionellen Stromnetz ein steuerbares Daten- und Energienetz, das eine stabile Versorgung sichert. Und dafür sorgt, dass alles fließt.
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