Latenz – die Währung einer digitalisierten Welt

Eine langsame App oder ein ruckelndes Spiel sind nicht weiter schlimm? In der digitalen Welt kann eine zu hohe Latenz, die für solche Situationen verantwortlich ist, zu Kunden- und Umsatzverlust führen. Bei der Nutzung von digitalen Anwendungen, wie beispielsweise beim autonomen Fahren, ist eine geringe Latenz sogar absolut sicherheitskritisch. Thomas King, CTO bei DE-CIX – dem Betreiber des weltgrößten Internetknotens in Frankfurt – zeigt an einigen Beispielen, was hinter dem Begriff steckt und welche wirtschaftlichen und sicherheitskritischen Auswirkungen eine zu hohe Latenz haben kann.

Latenz beschreibt den Zeitraum, den ein Datenpaket von einem mit dem Internet verbundenen Gerät, wie zum Beispiel einem Smartphone, zu einem Server im Internet und zum Gerät zurück benötigt. Je kürzer die Latenz ist, desto besser ist die User-Experience (UX) von digitalen Anwendungen. Vereinfacht ausgedrückt: Eine zu hohe Latenz ist die Ursache für die Verzögerung, die wir bei Videokonferenzen über lange Distanzen erleben. Latenz ist außerdem ausschlaggebend für die benötigte Zeit, bis eine Transaktion beim Online-Shopping getätigt wird, für eine gute UX bei Cloud-Anwendungen oder für ein flüssiges Spielerlebnis bei Online-Games.

 

Zeit ist Geld – in der digitalen Welt mehr denn je

Eine langsame Website beim Online-Shopping bedeutet nicht nur eine schlechte Nutzererfahrung; Aus geschäftlicher Sicht kosten Latenzprobleme bares Geld. Die Produktivität im Zusammenhang mit der Nutzung von virtuellen Desktops, Konferenz- und Videogesprächen und anderen „Homeoffice-Diensten“ ist von einer leistungsstarken Verbindung abhängig. Aber auch industrielle Anwendungen wie Remote-Robotik (zum Beispiel der Patch-Roboter am DE-CIX Frankfurt), KI-gestützte Forschung und Entwicklung sowie die Fortschritte in der Produktentwicklung des vernetzten Autos wären ohne die Leistung, Sicherheit und Resilienz, die mit einer möglichst geringen Latenz einhergeht, nicht denkbar. Die Latenz bei digitalen Diensten kann sich also direkt auf den Umsatz von Unternehmen auswirken.

Die Auswirkungen von Latenz gehen aber noch weiter. Sie ist nicht nur ein Qualitätsmerkmal und Garant für Produktivität, sondern könnte in Zukunft sogar Auswirkungen auf die Gesundheit haben, etwa bei Echtzeit-Reaktionen, die für (kritische) E-Health-Anwendungen – wie Videosprechstunden für Ärzte oder psychotherapeutische Online-Angebote bis hin zu Plattformen zur Vernetzung der Leistungserbringer – benötigt werden. Bei autonomen Autos muss die Zeit zwischen der Gefahrenerkennung durch Sensoren und der Ausgabe eines Warnsignals möglichst kurz sein. Auch der automatisierte Finanzhandel und moderne E-Manufacturing-Systeme benötigen minimale Reaktionszeiten. Solche kritischen Anwendungen haben hohe Anforderungen an die Performance und die Ausfallsicherheit, die ebenfalls sehr eng mit der Latenz zusammenhängen. Aus Performance-Sicht benötigen die Anwendungen Antwortzeiten im niedrigen Millisekunden-Bereich.

 

Nichts ist schneller als das Licht

Dr. Thomas King, Chief Technology Officer bei DE-CIX

Die maximale Latenz für eine annehmbare User-Experience mit den heutigen allgemein genutzten Anwendungen liegt bei etwa 65 Millisekunden. Tatsächlich sollte die Latenz jedoch 15 Millisekunden nicht überschreiten, um eine allgemein erwartetes Leistungsniveau zu garantieren. Übertragen auf physische Entfernung bedeutet dies, dass Inhalte und Anwendungen so nah wie möglich bei den Nutzern sein müssen. Schließlich kann sich nichts im Universum schneller als mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Das hat auch Auswirkungen auf die Datenübertragung. Bedingt durch die hohen Latenzanforderungen müssen Anwendungen wie interaktive Online-Spiele und Live-Streaming in HD/4K weniger als 1200 Kilometer Entfernung vom Nutzer gehostet werden. Digitale Anwendungen in der Zukunft werden noch viel geringere Latenzzeiten erfordern, die eher im Bereich von 1 bis 3 Millisekunden liegen. Die Rechenkapazitäten kritischer Anwendungen, wie autonomem Fahren, dürfen daher nicht mehr als 50 bis 80 Kilometer vom Nutzer entfernt liegen. In der Praxis heißt das, wir werden mehr kleinere und dezentrale Rechenzentren und dessen Vernetzung brauchen. Um autonomes Fahren sicher umzusetzen müsste also in etwa an jedem Autobahnkreuz ein kleines Rechenzentrum eingerichtet werden.

Von Dr. Thomas King, CTO bei DE-CIX