Historie – die TCP/IP Protokolle wären ohne Xerox-PUP undenkbar

network-1027428_1920Will man verstehen, wohin sich die Computerwelt entwickelt, hilft es wenn wir die Computergeschichte ein bisschen besser verstehen. Daher macht auch ein wiederholter Spaziergang durch die Geschichte der Computer und der Kommunikationstechnik miteinander oftmals Sinn.

Erinnern Sie sich noch an die Netzwerkprotokoll-Suite „PARC Universal Packet (PUP)“? Unsere Suche nach den Meilensteinen der Computer- und der Kommunikationsgeschichte führt uns zurück in die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Einer der Brutstätten der Nerds befand sich im Xerox Palo Alto Research Center (PARC) in Palo Alto (Kalifornien). Xerox verlor zu dieser Zeit den Patentschutz für die Fotokopie und fürchtete, Marktanteile an japanische Hersteller zu verlieren. Um dem entgegenzuwirken, sollte PARC neue Technologien für Xerox entwickeln, damit die Firma auch weiterhin ihre marktbeherrschende Stellung im Bereich der Bürotechnik beibehalten könne.

Am 22. Mai 1973 nutzte Robert Metcalfe in einem Rundschreiben zum ersten Mal den Namen „Ethernet“. Er leitete das Protokoll von dem an der Universität von Hawaii entwickelten funkbasierten ALOHAnet ab. Daher auch der Name Ethernet (englisch für „Äther“, der nach historischen Annahmen das Medium zur Ausbreitung von elektromagnetischen Wellen wäre). Den weiteren Fortgang und den weltweiten Siegeszug des Ethernets kennen wir.

Was dem Ethernet damals fehlte, war ein Netzwerkprotokoll und eine Reihe von Anwendungen. Diese erblickte als Netzwerkprotokoll-Suite „PARC Universal Packet (PUP) im Jahr 1974 das Licht der Welt. Die PUP-Protokolle wurden wie folgt definiert:

  • Level-0-Protokolle: Die Level-0-Protokolle des PUP-Protokolls definieren Schicht 1 und Schicht 2 (die Übertragungsmechanismen und das Media-Access-Control/MAC) des OSI-Referenzmodells. Diese Protokolle werden in der PUP-Terminologie als Transmission-Media-Protocols bezeichnet.
  • Level-1-Protokolle: Die Level-1-Protokolle entsprechen den Funktionen der Schicht 3 des OSI-Referenzmodells. Die Level-1-Protokolle werden auch als Transportprotokolle der ersten PUP-Schicht bezeichnet. Auf dieser Schicht ist beim PUP-Protokoll das Internet-Protocol (IP) angesiedelt. Es setzt auf den Diensten der Schicht 2 auf und ist unabhängig von den darunter liegenden Schichten. Das IP-Protokoll übernimmt Adress- und Routing-Funktionen und ermöglicht den Versand von Datagrammen.
  • Level-2-Protokolle: Die PUP-Protokolle, die auf dem Transport-Layer (Schicht 4) angesiedelt sind, werden als Level-2-Protokolle oder „Transportprotokolle der zweiten XNS-Schicht“ bezeichnet. Auf dem XNS-Level 2 sind fünf Protokolle angesiedelt: Das Echo-Protocol, das Error-Protocol, das Packet-Exchange-Protocol, das Sequenced-Packet-Protocol und das Routing-Information-Protocol. Das Echo-Protocol dient zum Test einer Verbindung zwischen Kommunikationspartnern. Das Error-Protocol wird zum Versenden von Fehler- und Statusmeldungen zwischen Kommunikationspartnern eingesetzt. Das Packet-Exchange-Protocol bietet einen ungesicherten Transportmechanismus. Das Sequenced-Packet-Protocol unterstützt einen kompletten, gesicherten und fehlerfreien Transport-Service mit voller Ende- zu-Ende-Kontrolle. Das Routing-Information-Protocol unterstützt die automatische Wegwahl (Routing) in LANs und WANs.
  • Level-3-Protokolle: Die PUP-Protokolle der Schicht 5 und 6 werden als Level-3-Protokolle bezeichnet. Die Level-3- Protokolle werden in der Xerox-Terminologie als Control-Protocols bezeichnet.
  • Level-4-Protokolle: Die auf der Schichte 7 realisierten PUP-Protokolle werden als Level-4-Protokolle oder als Application-Protocols bezeichnet. PUP unterstützt eine Vielzahl von Anwendungen. Einige von ihnen, wie beispielsweise Telnet und File-Transfer-Protocol, waren im Wesentlichen die gleichen Protokolle wie die später im Internet eingesetzten Protokolle. Aber auch Mechanismen zum Drucker-Spooling, Kopieren, Fernzugriffen auf Dateiserver, die Namenssuche, Remote-Management, etc. wurden damals erfunden.

Dies geschah einige Jahre bevor die TCP/IP-Protokolle ihr Leben begannen.

Xerox-PUP versehentlich veröffentlicht

Vint Cerf gründete im Jahr 1976 an der Stanford-Universität ein Design-Komitee, welches zum Ziel hatte, ein Protokoll-Design für das ARPANET (dem Vorläufer des Internets) zu entwickeln. Er lud hierzu auch einige Leute von PARC ein. Zu diesem Zeitpunkt wusste niemand außerhalb von PARC, dass die Xerox-Leute bereits an der PUP-Netzwerkprotokoll-Suite arbeitenden. Die Xerox-Anwälte untersagten den Teilnehmern am Stanford-Design-Komitee jedwede Erwähnung der PUP-Entwicklung.

Natürlich wurde während des Meetings über die Entwicklung von Protokollen gesprochen. Die Stanford-Leute erklärten ihre Design-Ideen und die Xerox-Leute kommentierten diese wie folgt:

„Wenn man dies macht, kann man totsicher in Probleme laufen: Hier oder mit diesem Merkmal da drüben, oder dieses Merkmal des Protokoll-Designs wird einem in die Quere kommen…“

Diese Unterhaltung ging ein paar Mal hin und her. Schließlich lehnte sich einer der Stanford-Leute zurück und fragte ganz offen: „Habt ihr bei PARC bereits eine solche Netzwerkprotokoll-Suite entwickelt?“ Die Xerox-Leute konnten nur mit dem Kopf nicken, denn sie durften nicht über die Entwicklung reden.

Aus diesem Grund verdanken Vint Cerf und Bob Kahn ihren Ruhm den Xerox-Anwälten. Ohne die Xerox-Anwälte hätte wahrscheinlich bis heute niemand etwas von den TCP/IP-Protokollen gehört. Das TCP/IP-Design basierten auf vielen Ideen der PUP-Suite. Vint Cerf und Bob Kahn, die oft als Väter des Internets angesehen werden, verdanken den Ingenieuren von PARC einen großen Teil dieses Ruhmes. Dies sind jedoch Fakten, über die im Internet nicht mehr gesprochen wird.

Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur
Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur

Im Jahr 1977 wurde PUP von Xerox Network Systems (XNS) abgelöst. Diese Entwicklung beeinflusste in den achtziger Jahren die Entwicklung einer Reihe von Netzwerkprotokollen. Die Bekanntesten sind das Ungerman Bass XNS, das Bridge Communications XNS, das 3Com XNS, AppleTalk sowie Novell Netware.

Aber dies sind Geschichten für einen anderen Artikel.