In der aktuellen Ausgabe des Sterns, äußert sich unter anderem der Beiersdorf-Vorstandsvorsitzende Stefan F. Heidenreich zum mehrtätigen IT-Ausfall in seinem Unternehmen, hervorgerufen durch die Petya/NotPetya-Attacke. Das Unternehmen wurde über eine Niederlassung Opfer der Kampagne und der Schaden des Angriffs soll in die Millionenhöhe gehen. Ausgehend von einem befallenen System in der Ukraine habe sich die Malware blitzschnell im Unternehmen ausgebreitet und weltweit den Betrieb lahmgelegt.
Dabei wird Heidenreich unter anderem mit den Worten zitiert: „Unser Sicherheitssystem ist gut, gegen diesen Angriff waren alle machtlos.“
Oliver Keizers, Regional Director DACH des IT-Sicherheitsunternehmens Fidelis Cybersecurity, sieht dies anders und erläutert, wie Petya/NotPetya, aber auch andere Angriffe sehr wohl und machtvoll abgewehrt werden können:
„Ich höre immer wieder, dass die bestehenden Sicherheitssysteme ausreichend seien und dass man machtlos gegen solche Angriffe wäre – dem ist nicht so!
Wir haben in der Vergangenheit immer wieder vernommen, dass Unternehmen sich machtlos gegenüber modernen Cyberattacken fühlen. Hier wird leider zu oft mit traditionellen Verteidigungswerkzeugen auf moderne Angriffe reagiert. Wir haben es hier nicht mit simplen, traditionellen Angriffen zu tun, die bekannte Präventionssysteme wie Antiviren-Software oder Firewalls verteidigen können, welche dann keine Gefahr mehr darstellen. Moderne Angriffe verstecken sich vor diesen Verteidigungslinien jedoch erfolgreich und lassen uns vermeintlich machtlos sein, hier bedarf es jedoch vor allem modernen Erkennungssystemen, welche eine weitere Verteidigung in der zweiten Linie ermöglichen. Auch uns und unseren Sicherheitsforschern war der hier vorliegende Schadcode initial unbekannt, das heißt aber nicht, dass wir nichts über die einzelnen Methoden gewusst hätten und diesen somit sehr wohl erkennen und erfolgreich verhindern konnten.“
Nicolei Steinhage, Senior Systems Engineer DACH bei Fidelis Cybersecurity, erläutert die technischen Hintergründe dazu:
„Schaut man sich im Nachhinein die Angriffe an, so wird klar, dass die Erstinfektion durch eine DOC/RTF-Datei auf den Exploit CVE-2017-0199 erfolgte, die wiederum zu einer XLS-Datei mit eingebettetem HTA-Skript führte, was dann in der Folge den Malware-Download startete. Der hier verwendete Exploit war bereits bekannt und das hat dafür gesorgt, dass es bei vielen Unternehmen erst gar nicht zu einer Infektion kam – die Sicherheitssysteme am Perimeter konnten bereits vor der Infektion Alarm schlagen. Eine Warnung war hier also durchaus möglich und gegeben.
Diese Malware jedoch hat sich nach der Überwindung des Perimeters und der initialen Infektion sekundenschnell im gesamten Netzwerk ausgebreitet und alle verfügbaren Endpunkte befallen. Dazu nutzten die Angreifer durchaus valide und im System vorhandene Tools wie das Windows-Management-Interface (WMI) und PSexec, um mithilfe eines Derivates von MimiKatz an Benutzerzugangsdaten zu kommen und die Malware remote auszuführen. Der Transfer durch das Netzwerk zu den einzelnen Endpunkten fand per Server-Message-Block statt. Genau dieselbe Methode wurde bereits beim Angriff „Shamoon“ 2012 verwendet – auch hier schlagen moderne, nicht signaturbasierte Sicherheitssysteme Alarm. Zudem war für moderne Endpunkt-Lösungen das Zusammensammeln der Zugangsdaten und die Nutzung von PSexec auf den betroffenen Systemen sichtbar und zu unterbinden – ebenso sekundenschnell, wie die Malware versuchte sich auszubreiten, indem der Endpunkt, egal ob es sich um einen Computer oder einen Server handelt, sofort vom Netzwerk isoliert und bereinigt wird.
Kurz gesagt, auch wenn der Schadcode noch unbekannt war, die Angriffsmethoden waren es nicht. Und moderne Sicherheitssysteme können anhand von Codeverhalten Angriffe finden und dagegen vorgehen. Typische Aktionen wie zum Beispiel Prozessausführung über „cmd.exe / c start“, die Ausführung von Code aus dem TEMP-Verzeichnis oder auch die Löschung von Volume-Shadow-Kopien sind immer verdächtig, müssen jedoch am Endpunkt zur Laufzeit erkannt werden können. Dabei braucht es dann nicht einmal mehr menschliche Hilfe: die Systeme gehen hier – beispielsweise bei der Isolation des befallenen Endpunkts und der folgenden Bereinigung – automatisiert vor und lösen das Problem, bevor es entsteht. Durch die Analyse von Metadaten rund um den Angriff ist es für das System dann des Weiteren möglich, selbständig zu lernen und zu überprüfen, ob ähnliche Angriffe bereits in der Vergangenheit auf dieses oder andere Systeme verübt worden sind.
Und auch wenn in diesem besonderen Fall der Sicherheitsforscher Amit Serper sehr schnell eine Möglichkeit gefunden hatte, sein System zu „impfen“, rührt die gefühlte Machtlosigkeit der Unternehmen daher, dass sie nicht wissen, wie sie dies auf allen Endpunkten, die in die Tausende gehen können, so schnell wie möglich durchführen sollen. Mit einem entsprechenden zentralen Management-Tool für die Endpunkte wäre dieses Problem sehr schnell über einfachste Skripte (manchmal so einfach, dass es nicht mehr als zwei Zeilen Code brauchte!) erledigt.“
Oliver Keizers kommt deshalb zu dem Schluss, dass das Gefühl der Machtlosigkeit woanders herrührt:
„Die „Machtlosigkeit“, die viele Unternehmen also spüren und die noch häufig von reaktiven, signaturbasierten Systemen gepredigt wird, existiert also absolut nicht. Es ist nur, gerade für globale Unternehmen, schwer, immer auf der Höhe der Zeit zu bleiben – Innovationszyklen bei Angriffen und Verteidigung sind schnell, Implementationszyklen aber langsam. Budgettöpfe werden lange im Voraus geplant und moderne Verteidigungslösungen finden darin nur stark verspätet eine Position.
Es bedarf also eines umfassenden modernen Systems zur Erkennung und Verteidigung von Angriffen, einer besseren Analyse auch des internen Verkehrs auf Inhaltsebene und vor allem einer Lösung auf dem Endpunkt, die all die oben geforderten Schritte und Fähigkeiten aus einer Hand bietet.
Das soll übrigens nicht heißen, dass Unternehmen ihre alten Systeme einfach rausschmeißen sollten, oder dass man unbedingt mehr Geld in die Hand nehmen muss. Sicherheitslösungen sollten sich ergänzen, es kommt aber auch durch ganzheitlichere Ansätze zu einer Konsolidierung der Produkte und Services.
Zahlreiche Unternehmen haben in den vergangenen Jahren traditionelle Security-Maßnahmen implementiert – und ruhen sich nun darauf aus. Gefühlte Sicherheit ist also trügerisch, bis zum nächsten Angriff… “
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