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Bis vor kurzem waren sich viele Experten einig: KI kann nicht logisch schlussfolgern und wird es vermutlich auch nicht lernen. Zwar bewiesen die gängigen generativen KI-Modelle wie GPT-4o und Claude 3.5 durchaus beeindruckende sprachliche Fähigkeiten – blieben letztlich jedoch „Sprachorakel“, die bereits an einfachsten Logik-Aufgaben scheiterten. Experten und Privatpersonen behalfen sich mit Notlösungen: Prompt-Engineering, Retrieval-Augmented-Generation (RAG), Multi-Agent-Conversations (MAC), Chain-of-Thought-Prompting und mehr. Doch die Ergebnisse blieben unbefriedigend.
KI kann doch denken!
Mit der Vorstellung von „DeepSeek R1“ ist dem Start-up aus China, das jetzt in aller Munde ist, unbestreitbar ein Coup gelungen – und hat eine neue Ära in der KI-Entwicklung eingeläutet: die sogenannten „Reasoning-Modelle“ – ein Typ von KI-Systemen, der logisch schlussfolgern kann. Dabei war Deepseek nicht das erste Unternehmen, dass ein solches Modell vorgestellt hat: OpenAI rüttelte bereits Ende letztes Jahr mit seinem Reasoning-Modell o1 an der Überzeugung, dass KI nicht „denken“ könne. Die Ergebnisse, die das System lieferte, waren beeindruckend, insbesondere bei komplexen Aufgaben. Doch OpenAI gab kaum Informationen darüber preis, wie das System dies erreicht. Diese Geheimniskrämerei förderte zwar das Interesse von Investoren, ließ aber viele Fragen offen.
Deepseek hingegen – und das ist einer der Gründe für die enorme mediale Aufmerksamkeit – veröffentlichte nun detaillierte Studien, Methoden, Experimente und Optimierungstechniken und zeigt, wie Deepseek seine KI dazu bringt, logisch zu schlussfolgern. Einige Schlüsselelemente dabei sind:
– Längere „Denkzeit“: Das Modell wurde angeregt zu denken, ohne ihm vorzuschreiben, was es denken sollte. So fing es von selbst an, die Phase bis zur Antwort zu verlängern – was zu besseren Lösungen bei komplexen Problemen führte.
– Eigene Antworten evaluieren: Ohne Prompting lernte das Modell, seinen Lösungsweg neu zu bewerten und Fehler in der Argumentation zu erkennen und zu korrigieren.
– Kaltstartdaten sind erforderlich: Zur „Vermenschlichung“ der Ergebnisse ist nach wie vor Anleitung notwendig, sonst wechselt das System im Lösungsfindungsprozess beliebig zwischen Sprachen und Formaten, was die Ergebnisse für menschliche User völlig unlesbar macht.
Debatte um Preis, Performance und Datenschutz
Deepseek-R1 bedeutet – zumindest theoretisch – dass Forscher, Startups und Unternehmen nun leistungsfähige Reasoning-Modelle für ihre eigenen Anwendungsfälle trainieren können. Zu viel geringeren Kosten und mit höherer Leistungsfähigkeit: Deepseek bietet seine vollständige R1-API im Vergleich zu OpenAI zu einem Bruchteil der Kosten an. Zudem hat Deepseek auch R1-Versionen veröffentlicht, die für den Betrieb auf Consumer-Hardware optimiert ist. Dies stellte eine wichtige Annahme der KI-Branche in Frage – dass der beste Weg, KI-Modelle intelligenter zu machen, darin besteht, ihnen mehr Rechenleistung zu geben.
Die Panik, die das auf dem KI-Markt auslöste und zu einem enormen Kursabfall von Nvidia-Aktien führte, ist bekannt. Allerdings – und auch das ist bekannt – gibt es beim Deepseek-Modell einen hohen versteckten Preis. Denn über was Deepseek nicht offen spricht, ist die Verwendung, Speicherung und Verwaltung der Daten. Berichte, dass Deepseep Eingaben sowie Audio- und Videodaten sammelt, werfen berechtigte Fragen darüber auf, wie diese Daten verwendet werden, zu welchem Zweck und von wem.
OpenAI reagiert
Die Debatte rund um Leistungsfähigkeit, Kosten und Datenschutz des Deepseek-Modells wird uns noch eine Weile begleiten. Fest steht allerdings schon jetzt: Das chinesische Startup hat mit der Vorstellung seines Modells die nächste Ära der KI-Entwicklung eingeläutet. OpenAI hat bereits reagiert und mit o3-mini seinerseits ein kosteneffizientes Reasoning-Modell vorgestellt. Auch Deepseek wird mit weiteren Neuerungen nicht lange auf sich warten lassen. Wir sollten uns auf einen aggressiv geführten Schlagabtausch um die beste Reasoning-KI gefasst machen.
Im Bereich Softwareentwicklung und Qualitätssicherung ist die Vorstellung, dass Entwickler immer mehr zu Designern werden, die auch komplexe Coding-Aufgaben den KI-Assistenzsystemen überlassen, nun sicherlich keine Zukunftsmusik mehr.
Fazit: Umsichtig in Stellung bringen
Die Veröffentlichung von Deepseek R1 wird den Fortschritt schneller vorantreiben, als Experten noch vor kurzem annahmen. Die Anwendungsfelder und -szenarien einer logisch denkenden KI sind dabei beinahe unbegrenzt. Zentrale Fragen jedoch bleiben: Welches Unternehmen wird langfristig die technologische Vorherrschaft übernehmen? Wie werden Datenschutzfragen die Geschwindigkeit der Entwicklung beeinflussen? Wie schaffen Unternehmen den Spagat zwischen Innovation und Compliance? Unternehmen müssen sich nun strategisch positionieren, um nicht den Anschluss an diese rasante Entwicklung zu verlieren. Zum jetzigen Zeitpunkt gilt: Deepseek hat ernsthafte Datenschutzprobleme, Firmen sollten hier also besondere Vorsicht walten lassen.
#Tricentis