Das neue Sorgfaltspflichtengesetz, auch bekannt als „Lieferkettengesetz“ steht kurz vor der Verabschiedung durch den Deutschen Bundestag. Welche Unternehmen von dem neuen Gesetz betroffen sind und welche Pflichten es mit sich bringt, weiß Compliance-Experte Kai Leisering von Business Keeper.
Der kürzlich von der Koalition beschlossene Gesetzentwurf soll ab 2023 gelten – zunächst nur für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitenden, ein Jahr später auch ab 1.000 Beschäftigten. Konkret bedeutet das neue Gesetz für die Firmen, dass sie in Zukunft Risikoanalysen machen und Beschwerde-Mechanismen einrichten müssen, um die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu gewährleisten. Um die Sorgfaltspflichten entsprechend umzusetzen, werden Verstöße unter strenge Strafe gestellt: Unternehmen müssen mit Bußgeldern bis zu 800.000 Euro sowie dem Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen rechnen.
Neben den großen Unternehmen gilt das Gesetz auch für ausländische Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland sowie für deren direkte Zulieferer, d. h. die Firmen, die in der Lieferkette vor oder nach den betroffenen Unternehmen angesiedelt sind. Gegenüber mittelbaren Zulieferern in der Lieferkette müssen die Unternehmen zudem anlassbezogene Sorgfaltspflichten treffen. Das bedeutet, dass sie Verstöße gegen Menschenrechte, Arbeitsrechte, Gesundheitsschutz und Umweltschutz bei mittelbaren Zulieferern überprüfen und entsprechende Konsequenzen einleiten müssen. Für die Umsetzung des Gesetzes können Unternehmen behördliche Unterstützung in Anspruch nehmen.
Welche Verstöße werden durch das Lieferkettengesetz geahndet?
Zu den Menschenrechten, die mit dem Lieferkettengesetz geschützt werden sollen, zählen u. a. Kinderarbeit, Ausbeutung sowie fehlende Arbeitsrechte und Diskriminierung. Des Weiteren werden auch Umweltrisiken inkludiert, die zu Menschenrechtsverletzungen führen können, z. B. Luft- und Wasserverschmutzung sowie die Verwendung von Chemikalien und Pestiziden oder illegale Abholzung.
Die Unternehmen müssen eine Reihe von Sorgfaltspflichten erfüllen. Dazu zählt eine sogenannte Grundsatzerklärung mit allen bekannten Risiken, die fortlaufend aktualisiert wird. Zusätzlich wird mehr Transparenz geschaffen: Die Einrichtung eines rechtskonformen und wirksamen Risikomanagements setzt u. a. die Festlegung der Zuständigkeit für die Überwachung des Risikomanagements voraus. Dies erfolgt z. B. durch die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten. Zudem haben die Unternehmen auf ihrer Website jährlich einen Bericht über die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten zu veröffentlichen und bei der zuständigen Behörde einzureichen. Geprüft wird die Einhaltung des neuen Lieferkettengesetzes vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, die auch die Sanktionen und Bußgelder verhängen.
Das neue Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen außerdem zur Implementierung eines Beschwerdekanals. Über diesen können Betroffene Beschwerden bzw. Meldungen über Verstöße einreichen. Die Anforderungen an diesen Beschwerdekanal decken sich größtenteils mit denen an Hinweisgebersysteme nach der EU-Whistleblowing-Richtlinie. Sie müssen sicher sein und einen Dialog mit den Hinweisgebenden erlauben.
Deshalb braucht es ein Lieferkettengesetz
In der Vergangenheit waren deutsche Unternehmen immer wieder an Katastrophen in anderen Ländern direkt oder mittelbar beteiligt: Dazu zählen der Dammbruch in Brasilien im Jahr 2019, bei dem mehr als 250 Menschen ums Leben kamen und der Brand in einer pakistanischen Textilfabrik 2012. Dafür sollen Unternehmen künftig die Verantwortung übernehmen.
Besonders betroffen sind demnach Firmen aus der Textil- und Elektronikindustrie sowie der Automobilindustrie. Das Gesetz tangiert ebenfalls die Pharma- und Lebensmittelbranche, da Deutschland viele Nahrungsmittel sowie chemische und pharmazeutische Erzeugnisse aus dem Ausland importiert.
Folgen für Unternehmen
Auf den ersten Blick betrifft das neue Gesetz nur größere Unternehmen – wenn allerdings kleinere Unternehmen direkte Zulieferer sind, müssen diese auch die entsprechenden Standards der Lieferkette nachweisen und Risikoanalysen durchführen.
Kai Leisering, Geschäftsführer bei Business Keeper: “Der erste Gesetzentwurf wurde nach starker Kritik aus der Wirtschaft deutlich entschärft, mit der Neufassung ist aus unserer Sicht ein guter Kompromiss gefunden worden. Wir begrüßen es natürlich, dass die Unternehmen nun Beschwerdekanäle implementieren müssen. Weiterhin sind nach wie vor die Einschränkung der Gültigkeit des Gesetzes auf große Unternehmen und direkte Zulieferer die größten Schwachstellen des Gesetzes. Zum einen, da sich die meisten Menschenrechtsverletzungen, wie Kinderarbeit auf Plantagen oder unwürdige Arbeitsbedingungen in Fabriken, am Beginn der Lieferkette abspielen.
Zum anderen liegt eine Vielzahl der Unternehmen in Deutschland unter der Unternehmensgröße von 3.000 bzw. 1.000 Mitarbeitenden – sie können somit größtenteils weitermachen wie zuvor. Wir plädieren dafür, dass dieses auch kleinere Unternehmen schärfer in die Pflicht nimmt und die gesamte Lieferkette betrachtet. Die Verletzung von Menschenrechten durch deutsche Unternehmen im Ausland, um hierzulande die Produkte günstiger zu verkaufen bzw. mehr Gewinn zu erzielen, ist ethisch nicht vertretbar und sollte so schnell wie möglich unterbunden werden.”