Wir reden immer weniger

Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur
Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur

Geht es bei den Veränderungen im Kommunikationsverhalten nur um Social-Media oder müssen wir uns mit einer Neudefinition des gesamten Kommunikationsverhaltens auseinandersetzen?

Wir haben inzwischen viele Phasen der Telefonkommunikation durchlebt und können uns in der Regel nicht mehr an alle durchlebten Modeströmungen im Kommunikationsbereich erinnern. Die Forschungen beweist uns seit ein paar Jahrzehnten, dass Kinder ein Telefon fast zeitgleich mit dem Erlernen der Sprache bedienen können. Dachte ich! Vor ein paar Tagen führte ich ein Gespräch mit einer jungen Frau, die mir glaubhaft machte, dass die einzigen Personen, mit denen sie am Telefon sprach, ihre Eltern waren.

Da wirft natürlich die Frage auf: Wohin entwickelt sich „Unified-Communications (UC)“, wenn zwischen Menschen keine Telefongespräche mehr stattfinden? Ein etablierter Markforscher behauptet, dass das Telefonieren nicht einmal zu den fünf wichtigsten Dingen gehört, die Kinder mit Smartphones anstellen. Muss auf diese Verhaltensänderung der Nutzer mit kurzfristigen Änderungen der Geschäftsprozesse reagieren oder muss mit einer Neudefinition der gesamten Kommunikationsindustrie gerechnet werden?

Erwartungen an die Echtzeit

Will man ein wenig tiefer in die Soziologie eintauchen, dann eignet sich hierfür folgendes Beispiel: SMS und soziale Medien haben die Kommunikation inzwischen grundlegend verändert, indem sich diese vom Rekapitulieren des Vergangenen („was habe ich/du heute getan?“) sich zur Weitergabe der aktuellen Ereignisse gewandelt hat. Die Menschen teilen inzwischen ihre aktuellen Erfahrungen. Als die Social-Media-Dienste (Facebook, Twitter, usw.) ihre Dienste aufnahmen, lehnten viele ältere Menschen die Nutzung dieser Dienste ab, denn sie wollten sich nicht mit den „unwichtigen“ (und vor allem aktuellen) Details des Lebens anderer Menschen auseinandersetzen. Die Jugend nahm diese Neuerungen gerne auf und integrierte diese in ihren Lebensstil. Dadurch wandelte sich die Kommunikation von der Reproduktion vergangener Ereignisse in die Darstellung der Echtzeit.

Wenn die Zusammenarbeit in Zukunft (oder besser, in naher Zukunft – um ehrlich zu sein) in eine kontinuierliche Echtzeitbeziehung wandelt, dann ergeben sich daraus eine Reihe von Herausforderungen. Würde ein Automechaniker einen Tweet absetzen, wenn er den Zylinderkopf eines Motors aufschraubt und würde er erneut einen Tweet absetzen, wenn er ein Ventil austauscht? Der Mechaniker könnte seine Arbeit nicht erledigen. Wollte der Mechaniker seine Realität mit der Welt teilen, dann müsste er die Tweets durch einen Video-Feed ersetzen. Aber das löst eigentlich das Problem nicht. Unser Automechaniker kann zwar einen Video-Feed übermitteln, aber kann sein Vorgesetzter den Feed auch verstehen bzw. kann dieser alle Feeds seiner Untergebenen überwachen und kontrollieren?

Jeder erkennt an dem obigen Beispiel, dass die sozialen Medien nur dann in das persönliche Leben von Arbeitern integriert werden können, wenn diese Bestandteile der Arbeitsprozesse sind. Entsprechenden Versuchen waren keine großen Erfolge beschieden. Einer der Ursachen für das Versagen, bestand darin, dass sich viele soziale Prozesse nicht direkt zur Zusammenarbeit eignen. Das heißt jedoch nicht, dass die kollaborativen Prozesse sich nicht an die Social-Media-Anforderungen anpassen lassen.

Der Begriff des Videofeeds entspricht den Social-Media-Anforderungen irgendwie besser, muss aber noch etwas optimiert werden. Wir sollten unsere Manager nicht damit belasten, dass sie zwölf Videofeeds in Echtzeit ansehen müssen. Die meisten Dinge, die per Video übermittelt werden sind einfach nur langweilig. Wir sollten jedoch ein Video zur Hand haben, welches uns ein Problem erklärt, wenn etwas schief läuft. Kollaboration unterscheidet sich von den sozialen Prozessen dadurch, dass sie nicht permanent, sondern episodisch auftritt. Auch im Alltag betrachten wir die ganze Zeit um uns herum, aber wir filtern das Gesehene so lange aus, bis etwas Unvorhergesehenes geschieht (beispielsweise Zeuge eines Autounfalls oder ein Hundert-Euro-Schein liegt auf dem Bürgersteig).

Gehen wir davon aus, dass die zukünftige Zusammenarbeit auf einer Kombination aus dem Sammeln von Input für das Speichern und dem selektiven Abrufen von diesen Inhalten basiert, wenn diese von Interesse sind. Daher müssen wir uns zwei Aspekte genauer betrachten: Die Speicherung und den Abruf von Informationen.

Beim Speichern der Information besteht die Herausforderung nicht darin, was zu speichern ist, sondern die Herausforderung besteht in der Frage: Was ist zu speichern? Ein Manager sollte in der Lage sein, durch die Augen seiner Mitarbeiter zu „sehen“, nicht nur in einem Video-Sinne, sondern in allen kontextuellen Möglichkeiten, die relevant sein könnten. Es mögen hundert Panels sein, die aus der Perspektive einer Helmkamera gleich aussehen. Was wir zusätzlich benötigen, damit der Videofeed relevant wird, sind eventuell die zugehörigen GPS-Informationen, die Temperaturen, die Tages- und die Uhrzeiten. Kurz gesagt, wir brauchen zusätzlich noch alle relevante Information, damit die Information für uns wichtig wird.

Was wir wahrscheinlich nicht brauchen, ist, dass der Arbeiter beschreibt, was er tut. Dies steigert die Produktivität nicht und stört nur. Möglicherweise müssen wir auf das Videosignal eine zusätzliche Tonspur legen, wenn klar ist, was nicht funktioniert hat und man die korrigierenden Schritte beschreiben muss. Aber selbst dieser Schritt hängt nicht direkt mit der Lösung des Problems zusammen, sondern eher mit unserer altmodischen Vorstellung von Kommunikation.

Was würde ein Teenager in einer solchen Situation tun? Er würde einen Link kreieren, der zeigt, was zu tun ist. Der Manager könnte das gleiche tun, wenn das richtige Verfahren in einem Video beschrieben wird. Das ist genau der Bereich, in dem die aktuellen Trends im sozialen Diskurs und in der Produktivität wieder zusammenkommen. Erzählen Sie den Leuten nicht immer das Gleiche! Stellen Sie ein Video bereit, welches die Lösung aufzeigt. Denke wie ein Youtube-Star, wenn Sie eine Gruppe von Youtube-Nutzern managen und beeinflussen wollen.

Nicht alles im Bereich der Zusammenarbeit wird sich ändern. Es ist schwierig sich einen freien Austausch von Ideen in einem persönlichen Gespräch oder einer Videokonferenz vorzustellen. Aber die Praxis hat gezeigt, dass auch Gruppendiskussionen über soziale Medien funktionieren. Können solche Gruppendiskussionen über soziale Medien auch beim Austausch komplexer Ideen funktionieren? Viele Experten sagen: „Nein!“ Aber viele Experten sagen auch, dass niemand das Gleiche mit einer SMS oder einem Tweet erreichen, was man mit einem einzigen Anruf erledigen könnte. Natürlich haben diese Besserwisser Recht, aber sie vergessen dabei, dass man die Prozesse so umbauen kann, dass man bestimmte Dinge einfach nicht mehr erledigen muss. Die Zusammenarbeit scheint in diese Richtung zu tendieren. Aus diesem Grund sollten die von uns beschafften Werkzeuge diese Trends unterstützen. Wir reden vielleicht weniger, aber wir kommunizieren dann mehr und besser.