Mit ihren Datenautobahnen machen die Telekommunikationsunternehmen die digitale Revolution erst möglich. Doch nun scheint diese Revolution gerade jene zu bedrohen, die sie vorantreiben – mit möglicherweise gravierenden Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft. Denn obwohl die Telekommunikationsunternehmen ihre Netze ständig auf- und nachrüsten müssen, um das wachsende Datenvolumen transportieren zu können, gehen die Umsätze und Margen kontinuierlich zurück. „Damit die Telekommunikationsbranche ihre Aufgaben weiter erfüllen kann, müssen sich die Unternehmen der Branche neu erfinden“, sagt Roman Friedrich, Telekommunikationsexperte und Managing Director beim globalen Beratungsunternehmen Alixpartners. „Dabei ist es nachrangig, welche und wie viele Mehrwert-Services sie zusätzlich anbieten. Zunächst geht es um die Restrukturierung und Digitalisierung ihres Kerngeschäftes – als Grundlage für mögliche weitere digitale Dienste.”
Weltweit hat der Datenverkehr heute pro Sekunde ein Volumen von rund 25 Terabytes, also 25.000 Gigabytes. Bis 2020 wächst dieser voraussichtlich auf 60 Terabytes – und bei 25 Milliarden vernetzten Objekten im künftigen Internet der Dinge wären es jede Sekunde sogar 125 Terabytes. Pro Jahr steigt der Datenverkehr im Festnetz in den nächsten Jahren um rasante 21 Prozent, bei den mobilen Daten sind es sogar 53 Prozent. Stärkste Treiber des Datenverkehrs sind die Videoangebote (jährlich plus 31 Prozent), aber auch Web und E-Mail legen kräftig zu (jährlich plus 18 Prozent). Dabei ist das Wachstum nicht nur dort sehr hoch, wo noch deutlicher Nachholbedarf besteht – etwa in Afrika, Osteuropa und Südamerika. Auch die Regionen mit jetzt schon hohem Datenverkehr wachsen schnell: Südostasien, Nordamerika und Westeuropa.
Deutschland in Europa nur Mittelmaß
Bereits jetzt hinken die deutschen Netzbetreiber der Entwicklung hinterher. In Deutschland können die durchschnittlichen Breitband-Geschwindigkeiten am frühen Abend, der Spitzenzeit der Internet-Nutzung, um bis zu 35 Prozent abfallen. Absolut gesehen liegt Deutschland mit einer durchschnittlichen Datenrate von 13,7 Megabit pro Sekunde (MBi/s) unter dem europäischen Durchschnitt. Zum Vergleich: Europas Spitzenreiter Norwegen und Schweden liegen bei 20 und 19,7 MBit/s. Auch verfügen lediglich 8,1 Prozent der deutschen Bevölkerung über Hochgeschwindigkeits-Internetanschlüsse, während es im westeuropäischen Durchschnitt 12,9 Prozent sind. Dasselbe gilt für die mobilen Netze: In Deutschland wird je Simkarte und Monat nur ein Datenvolumen von 0,6 GByte bezogen, während im westeuropäischen Durchschnitt 1,9 GByte an Daten fließen.
Diese Situation ist auch volkswirtschaftlich betrachtet problematisch. Eine Berechnung der Weltbank führt zu dem Schluss, dass entwickelte Industrienationen ein zusätzliches Wachstum von 1,19 Prozent erreichen können, wenn die Zahl der Breitbandanschlüsse um 10 Prozent steigt. Denn Breitbandanschlüsse, so die Logik der Weltbank, sorgen für eine effizientere Automatisierung, einen höheren Grad an Zusammenarbeit und eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, ebenso wie für mehr Flexibilität und den Abbau von Arbeitsmarktbarrieren.
Das Datenvolumen steigt, die Umsätze sinken
Doch bisher profitieren die Bereitsteller der Internetanschlüsse nicht vom wachsenden Datenvolumen. Trotz exponentiell steigender Internetnutzung haben die Umsätze der Telekommunikationsunternehmen EU-weit zwischen 2011 und 2015 um rund 2 Prozent abgenommen. Die Folge ist, dass Investoren zögerlich sind, den künftigen Netzausbau zu finanzieren. Denn Telekommunikationsunternehmen verdienen vergleichsweise wenig, müssen aber viel investieren. Dazu ein Beispiel: Das investierte Kapital im Verhältnis zum Unternehmenswert liegt beim Netzbetreiber bei circa 6 Prozent, bei Apple im Vergleich aber nur bei niedrigen 1,8 Prozent.
Dabei wird aber in der Telekommunikation noch lange nicht so viel investiert, wie wünschenswert wäre – ein möglicherweise sinnvolles „Fiber-to-the-home“-Programm (FTTH), bei dem jedes Haus ein Glasfaser-Kabel bis in den Keller erhielte, würde viele Milliarden mehr verschlingen, als derzeit investiert werden. Beim Mobilfunk wird weltweit mit notwendigen Investitionen in Höhe von 48 Milliarden Dollar für das Upgrade des LTE-Netzes über die nächsten zehn Jahre gerechnet, sowie mit zusätzlichen 56 Milliarden Dollar für das 5G-Netz.
Telekommunikationsunternehmen müssen ihre Hausaufgaben erledigen
Bisher haben die Telekommunikationsunternehmen europaweit mit Fusionen und Übernahmen auf die schwierige Situation reagiert – in Deutschland gingen beispielsweise O2 und e-plus zusammen. Das erlaubt den wenigen, die die kartellrechtliche Erlaubnis erhalten, die Nutzung von Größenvorteilen, um die Kosten pro Kunde zu senken. Doch für das oben geschilderte Grundproblem der Branche reichen M&A-Anstrengungen alleine nicht aus.
„Die Telekommunikationsunternehmen müssen jetzt drastische Maßnahmen ergreifen“, sagt Markus Mantwill, Hightech- und Restrukturierungsexperte sowie ebenfalls Managing Director bei Alixpartners. „In den vergangenen Jahren haben sich viele auf eine Ausweitung des Geschäfts mit neuen Zusatzleistungen, wie etwa Cloud-Services konzentriert – doch das Erschließen neuer Ertragspotenziale steht erst ganz am Schluss der notwendigen Maßnahmen. Zuerst müssen die Carrier ihre Hausaufgaben im Kerngeschäft erledigen und von innen heraus wieder profitabel werden.“ Unabhängig von ihrer strategischen Ausrichtung sollten die Telekommunikationsunternehmen ihre Kosten durch ein vereinfachtes Produktportfolio senken, das Kundenerlebnis durch personalisierte digital-first Kommunikation verbessern, ihre internen Vorgänge durch digitale Prozesse automatisieren und Investitionen in hocheffiziente Systeme tätigen, so der Experte. Erst dann könne es um mögliche neue Geschäftsmodelle gehen, bei denen die Telekommunikationsanbieter in direkte Konkurrenz zu IT- und Internetunternehmen treten. „Je nach Netzbetreiber sehen wir ein Optimierungspotenzial von beachtlichen 30 bis 60 Prozent der Kosten/Investments – eine gewaltige Herausforderung für jedes Unternehmen“, so Mantwill weiter.
Auch Regulierer und Kartellbehörden sind gefragt
Um die volkswirtschaftlichen Chancen einer Breitband-Versorgung für jeden Haushalt maximal zu nutzen, sieht Klaus Hölbling, Experte für Technologie-, Medien- und Telekommunikation sowie gleichfalls Managing Director bei Alixpartners, auch die Regulierer und Kartellbehörden in der Pflicht. Die gegenüber den Konkurrenten aus dem reinen Internet-Servicegeschäft deutlich erhöhten Anforderungen – etwa bezüglich der Nutzung von Kundendaten oder der Preisgestaltung – müssten mit Hinblick auf den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Telekommunikationsanbieter überprüft werden. „Es geht hier um eine volkswirtschaftliche Gesamtperspektive und um die richtige ordnungspolitische Balance zwischen Standorts- und Wettbewerbspolitik“, erläutert Hölbling.