Ist das Ende der privaten Netze nah?

Die Vorhersage, dass die privaten Netze in nicht allzu ferner Zukunft verschwinden könnten, ruft bei mir ein ungutes Gefühl hervor. Aber ich bin auch Realist und kann die Zeichen der Zeit erkennen.

Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur
Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur

Es wird viel Hype um das Thema „Cloud“ produziert. Auch wird seit einiger Zeit das Thema „die Cloud wird die private IT ersetzen“ von interessierten Parteien losgetreten. Bei allen wilden Diskussionen wird jedoch die folgende Fragestellung ignoriert bzw. totgeschwiegen: „Ist das Ende der privaten Netze – wie wir diese bisher kennen – bereits nah?“ Denken wir an die glorreichen Tage von E1-Leitungen, ISDN, ATM, X.25 oder Frame-Relay? Diese Technologien sind bereits verschwunden oder befinden sich auf dem Weg ins Technologiejenseits. Erinnern wir uns daran, denn vor kurzem verfügte noch jeder über einen eigenen Router und ein nachgelagertes Switch-Netzwerke. Solche Lösungsansätze gehören im Zeitalter der virtuellen Netzwerke zum alten Eisen. Die neuesten Entwicklungen in diesem Bereich können für die privaten Netzwerke zum sprichwörtlichen Sargnagel werden.

Die Annahme der  Unternehmen, dass ein „besseres“ Netzwerk immer eine billigere Lösung darstellt, legt die Grundlage für diesen Trend. Seit mindestens einem Jahrzehnt stehen die Netzmanager unter dem Druck, die Kosten senken zu müssen. Unter den Kosten verstehen die Manager immer die Gesamtbetriebskosten (TCO). Der einfachste Weg dieses Ziel zu erreichen besteht darin, nur wenige und noch preiswertere Geräte zu nutzen und die private LAN / WAN-Dienste durch preiswerte Internetverbindungen zu ersetzen. Durch diese Schritte wird die Bedeutung der privaten Netze immer weiter reduziert,

Hinzu kommt, dass die Unternehmensleitungen die Budgets inzwischen stärker kontrollieren und die Netzverantwortlichen in den Unternehmen diese Grabenkämpfe verloren haben. Die Zahl der Unternehmen, die nicht einmal über eine eigene Netzbetriebstruppe verfügt steigt kontinuierlich an. Die Netzwerker werden mit den klassischen IT-Abteilungen zusammengelegt und müssen sich den allgemeinen IT-Trends unterordnen.

Netzwerke werden als Dienste bereitgestellt

Inzwischen verbreiten sich die Netzwerk-as-a-Service-Konzepte zunehmend. Virtuelle private Netzwerke stellten den Anfang der Revolution dar, da diese die Anzahl der erforderlichen privaten Netzwerkknoten reduzierten. Weniger Knoten bedeuteten weniger Boxen und daher auch weniger technische Unterstützung. Inzwischen verfügen wir über Network-Functions-Virtualization (NFV), virtuelle CPEs (vCPE) und Software-defined WANs (SD-WANs), die dazu führen, dass die private Hardware verringert bzw. vollkommen beseitigt wird.

Die vCPEs ersetzen in den Unternehmen die klassischen Appliances durch gehostete Funktionen und die Virtualisierung von Firewalls und VPN-Diensten. SD-WANs können Internet-Tunnel und private VPN-Dienste in Kombination nutzen, um mehr Standorte zu geringeren Kosten zu bedienen und ermöglichen einen Übergang zu reinen Internet-VPNs. Baut man die SD-WAN-Edge-Elemente auf Basis von vCPEs auf, dann verfügt man über keine privaten Netzkomponenten mehr und die Unternehmensnetzwerke können vollständig auf Internet-Overlays umgestellt werden. Wenn in Zukunft keine Geräte oder WAN-Dienste mehr überwacht und gemanaged werden müssen, was wird dann aus dem für das Netzwerk zuständige Personal?

Diese werden dann in die klassche IT integriert. Immer mehr Unternehmen betrachten die im Rechenzentrum integrierten Netzwerke als festen Bestandteil des Rechenzentrums und nicht als eigenständige Netzwerklösung. Etabliert sich die Cloud in einem verteilten Rechenzentrum, was passiert dann mit dem Netzwerk? Die Entwicklung des Cloud-Computings basiert darauf, dass immer mehr Netze innerhalb der Cloud zur Verfügung stehen. Einer der Auswirkungen des Cloud-Computings ist der Begriff der „Phantom IT“. Dies bedeutet, dass die jeweiligen Abteilungen ihre eigenen EDV-Services einkaufen. Daher ist es kaum vorstellbar, dass diese Denkweise noch Platz für private Netzwerke lässt, welche Möglichkeiten zur Anbindung anderer Gewerke bereitstellt. Die Phantom-IT ist mit dem Internet oder mit Internet-VPNs, aber nicht mit privaten Netzwerken verbunden.

Selbst in Unternehmen, die über eine professionelle IT-Entwicklung verfügen, entwickelten sich die Cloud-Services vom einfachen Hosting von wenigen Anwendungen bzw. Werkzeugen hin zu individuellen Cloud-spezifischen Anwendungen. Wenn alle Anwendungen (inklusive der speziellen Tools) in die Cloud migriert sind, dann bewegt sich fast der gesamte Netzwerkverkehr außerhalb der privaten Netzwerk-Domäne.

Verschwimmende Grenzen

Aber was passiert mit den bisherigen Service-Level-Agreements (SLAs) und dem Fehlermanagement? Wird eine Verschiebung zu gehosteten Diensten und Geräten die Benutzerverwaltung verändern? Hat so ein Übergang direkte Auswirkungen auf die Qualifikationsanforderungen der Mitarbeiter? Die einfache Antwort auf diese komplexe Fragestellung lautet: Vielleicht ja, vielleicht auch nein! Die Software-Automatisierung des Managements verwischt die öffentlichen und die privaten Grenzen.

Sowohl die Netzbetreiber als auch die Netzwerkbenutzer nutzen sehr schnell entsprechende Software-Tools zur Verwaltung der Services. Diese Werkzeuge unterstützen ein breites Spektrum an Anbietern und Technologien und Vereinfachen daher den Übergang von privaten Netzwerken zu öffentlichen Netzwerkdiensten. Die gleichen Werkzeuge, die von Managed-Services-Providern genutzt werden, lassen sich auch für das Outsourcing von Netzwerkbetriebsfunktionen einsetzen. Wenn die Software der Stoff ist, auf dem die Netze basieren, dann kommt es nicht mehr darauf an, wer die Software betreibt.

Für die meisten Benutzer ist das eine gute Nachricht, da Netzwerk-Know-how immer weniger zu finden ist. Ein Unternehmensmanager sagte mir vor kurzem: „Mir scheint, dass jedes Cloud-Unternehmen sich nicht nur der Talente des Arbeitsmarkt bedient, sondern direkt alle guten Mitarbeiter aus meinem Unternehmen abwirbt“. Das Netzwerk-Know-how ist gefragt und viele Branchen haben inzwischen Schwierigkeiten erfahrene Netzwerk-Profis zu bezahlen. Davon sind die kleinen und mittleren Unternehmen besonders betroffen. Auf der einen Seite sorgen Dinge wie der Online-Handel, die verteilt arbeitenden Mitarbeiter, die Virtualisierung und die Cloud für eine erhöhte Abhängigkeit von Netzwerkdiensten. Auf der anderen Seite können diese Unternehmen ihren Netzwerkern keinen realistischen Karrierepfad aufzeigen, der diese Ressourcen an ein Unternehmen binden könnte.

Fazit

Natürlich bin ich ein Oldtimer im Bereich der Netzwerke. Ich muss auch zugeben, dass die Vorhersage der Niedergang der privaten Vernetzung mir keine Freude bereitet. Ich bin aber auch Realist und weiß, dass die Technologie-Geschichte voller Beispiele ist, wie eine einfachere (preiswertere) Technologie den Markt übernimmt. Aus diesem Grund ist es wichtig für die weitere Entwicklung der Netze, dass deren Komplexität weiter reduziert wird und somit auch die Kosten fallen. (mh)