Unternehmen stehen heute vor der Aufgabe, ihre Governance, Risiko- und Compliance-Systeme (GRC) grundlegend neu zu denken. Die rasante Etablierung künstlicher Intelligenz (KI) im Unternehmensalltag und die Regulierung durch den EU-AI-Act zwingen Organisationen dazu, über klassische Compliance- und Risikomanagementtools hinauszugehen und proaktive KI-Governance zu etablieren. Entscheidend ist dabei: Wer jetzt strategisch handelt, um die Anforderungen an KI zu erfüllen, wird morgen davon profitieren – indem er regulatorische Herausforderungen in Wettbewerbsvorteile verwandelt.
Proaktive KI-Governance: Mehrwert durch Gap-Assessments
KI-Governance beginnt mit der umfassenden und differenzierten Analyse der aktuellen KI-Landschaft innerhalb des Unternehmens. Schon ein frühes Gap-Assessment zeigt auf, welche regulatorischen Anforderungen aus Perspektive des EU-AI-Acts und anderer Standards bereits abgedeckt sind und wo noch kritische Lücken sowie potenzielle Schwachstellen bestehen. Dabei gilt es nicht nur die offiziellen KI-Einsätze, sondern auch die inoffizielle Nutzung von KI im Unternehmen zu erfassen und dokumentieren. Ergänzt wird diese Bestandsaufnahme idealerweise durch funktionsübergreifende Erkenntnisse aus Mitarbeiterumfragen und eine enge Zusammenarbeit mit dem IT-Teams.
Sobald diese Grundlage geschaffen ist, können gezielte Risikoanalysen und festgelegte Kontrollmaßnahmen nicht nur dazu genutzt werden, auf neue rechtliche Anforderungen zu reagieren, sondern auch proaktiv Innovationen voranzutreiben und Risiken zu minimieren. Das wiederum schafft ein proaktives Sicherheitsnetz, das den Unternehmen erlaubt, KI mit Zuversicht und Agilität zu entwickeln – anstatt durch reaktive Maßnahmen und kurzfristige Einschränkungen gebremst zu werden.
Praktische Instrumente: Risikoklassifizierung und Kontrollpflichten
Ganz egal, ob KI schon heute in der Datenanalyse, Prozessoptimierung oder Dokumentenerstellung eingesetzt wird: Die systematische und kontinuierliche Identifikation und Klassifizierung der Anwendungen nach Risikostufen sind entscheidend. Ein dynamischer Prozess, der sich durch die Einführung neuer Tools immer wieder aktualisieren muss. Unternehmen benötigen für jede KI-Anwendung einen klaren Kontrollplan und eine zuverlässige Dokumentation aller Abläufe, um eine langfristige Compliance in Bezug auf den EU AI Act sicherstellen zu können. Denn mit der Staffelung der regulatorischen Fristen bis 2027 besteht die signifikante Gefahr, dass Unternehmen sich zu lange auf Einzellösungen stützen und am Ende in Rückstand geraten. Die frühzeitige und strategische Einbindung externer Spezialisten und automatisierter Analyse-Tools kann hier entscheidend darin unterstützen, durch die Komplexität hindurchzunavigieren. Wer jetzt Klassifizierung, Kontrollen und Dokumentation implementiert, minimiert das Risiko von Bußgeldern und Vertrauensverlust erheblich.
Ganzheitliche Governance: Leitplanken statt Restriktionen
Viele Unternehmen reagieren auf die Ungewissheit im Umgang mit KI zunächst mit Verboten oder restriktiven Einzelmaßnahmen. Doch echte Resilienz entsteht nur durch verständliche und adaptierbare Leitplanken sowie Governance-Strukturen. Denn KI wirkt nicht punktuell, sondern verändert ganze Entscheidungsökosysteme. Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Fairness im Umgang mit KI sind deshalb keine zusätzlichen Eigenschaften, sondern müssen Teil der Governance-DNA werden. Dies schafft dann wiederum Vertrauen bei Beschäftigten, Kunden und Regulatoren. Dieser Ansatz mindert nicht nur Risiken in Bezug auf Haftung und Reputation, sondern eröffnet auch Chancen für ethische Innovationen. Insbesondere im Kontext sensibler Daten ist eine robuste KI-Governance der Schlüssel, um Compliance-Aufwand zu kontrollieren, statt Innovationen aus Angst vor Unsicherheit einzuschränken. Kurzfristige KI-Verbote schützen nur scheinbar – nachhaltige Governance schafft echten Mehrwert und eröffnet neue Entwicklungsmöglichkeiten.
Automatisierung und Gremienarbeit: Effizienzgewinn durch KI
Die Automatisierung routinemäßiger Aufgaben durch KI verändert die Arbeit von Ausschüssen und Vorständen grundlegend. Indem KI wiederkehrende Tätigkeiten übernimmt – etwa das Erstellen von Sitzungsunterlagen, das Anfertigen von Protokollen oder die Vorabanalyse rechtlich relevanter Themen – gewinnen Entscheidungsträger wertvolle Zeit für prioritäre Fragestellungen, die den Erfolg der Organisation vorantreiben. Einer aktuellen Umfrage des Diligent Institute zufolge nutzen bereits die Hälfte der Unternehmensvorstände KI-Tools für die Sitzungsplanung, und rund 40 % setzen KI zur Zusammenfassung wichtiger Informationen ein – ein deutlicher Hinweis auf die wachsende Bedeutung von KI für effizientere Gremienarbeit.
Die Integration von KI in die Sitzungs- und Besprechungsvorbereitung verbessert nicht nur die Qualität, sondern reduziert auch den Aufwand für arbeitsintensive Prozesse erheblich. Durch gezielte Zusammenfassungen, etwa zu rechtlichen Aspekten, und die Straffung der Dokumentation können Gremien ihre Wirkung verstärken und Innovationen vorantreiben – bei gleichzeitiger Einhaltung regulatorischer Vorgaben und Wahrung der Transparenz.
Ausblick: Technik, Recht und Ethik wachsen zusammen
Mit der zunehmenden Entwicklung verbindlicher Standards auf europäischer und globaler Ebene sowie der Weiterentwicklung von KI-Governance ist zu erwarten, dass sich Governance-Ansätze von isolierten Strukturen hin zu integrierten Rahmenwerken entwickeln werden, die Technologie, Recht und Ethik vereinen. Organisationen werden kontinuierliches Monitoring von KI-Prozessen, automatisierte Compliance-Prüfungen sowie regelmäßige Aktualisierungen von Dokumentationen und Kontrollstrukturen als Standardpraxis etablieren müssen. Die globale Konvergenz technischer, regulatorischer und ethischer Perspektiven bringt für Unternehmen aller Branchen neue Herausforderungen und Chancen mit sich. Unternehmen, die frühzeitig investieren und innovative Technologien intelligent mit den Anforderungen der jeweiligen Rechtsordnungen verbinden, sichern sich nicht nur Compliance, sondern verschaffen sich langfristig auch einen Wettbewerbsvorteil.
Fazit
Während KI die Geschäftsprozesse grundlegend verändert, stehen Unternehmen vor der Herausforderung, Governance-, Risiko- und Compliance-Strukturen neu zu denken, Der EU-AI-Act beschleunigt diesen Wandel und verlangt von Organisationen, über klassische Compliance-Tools hinauszugehen und proaktive Strategien für KI-Governance zu entwickeln. Wer diese Chance nutzt, kann nicht nur regulatorische Anforderungen erfüllen, sondern auch neue Wettbewerbsvorteile erschließen und Innovationen gezielt vorantreiben.
Von Peter Herr, Senior Director bei Diligent












