Im Herbst 2021 trat Mark Zuckerberg, der Gründer von Facebook, mit seiner Einschätzung über das Metaverse an die Öffentlichkeit. In der Folge entwickelte sich eine rege Diskussion darüber, welches wirtschaftliche und soziale Potenzial dieser Ansatz hat – und welche potenziellen Risiken damit verbunden sind.
Doch das Metaverse ist keine Erfindung von Zuckerberg. Bereits der amerikanische Schriftsteller Neil Stephenson schilderte 1992 in seinem Roman „Snow Crash“ eine Welt, in der sich die Bürger in Form von Avataren durch virtuelle Räume bewegen. Und Filme wie „Matrix“ (1999) griffen bereits vor über 20 Jahren die Idee auf, die virtuelle mit der realen Welt zu verschmelzen.
Komponenten des Metaverse
Welche Technologien im Detail im Metaverse zum Einsatz kommen, ist noch nicht klar. Folgende Ansätze dürften eine wichtige Rolle spielen:
Eine dezentrale Struktur und Blockchain – dazu zählen das Web3 (dezentrales Internet auf Basis von Blockchains), die Distributed-Ledger-Technologie (DLT), Blockchain sowie Non-Fungible-Tokens (NFTs). DLT ist ein dezentrales Hauptbuch (Datenbank), das sich über mehrere Standorte und Nutzer verteilt. DLT kommt heute bei Kryptowährungen und bei Smart-Contracts zum Einsatz. Im Metaverse sichert die Technologie Transaktionen ab und verhindert, dass eine zentrale Instanz die Kontrolle über diese Vorgänge ausübt.
Spatial-Computing – ein Oberbegriff für verschiedene Technologien innerhalb des Kontinuums zwischen Realität und Virtualität etwa in Form von Virtual- und Augmented-Reality (VR, AR) sowie Mixed-Reality (MR): Durch den immensen Fortschritt im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) ermöglicht Spatial-Computing-Geräten, die Welt um sie herum zu erkennen und ein räumliches Bewusstsein zu schaffen. Das erlaubt ein detaillierteres und kontextbezogenes Computing, was sich in die Verarbeitung integrieren lässt, damit Unternehmen eine noch bessere kontextbezogene User-Experience anbieten können. Somit kombiniert die Technik Elemente im dreidimensionalen physischen Raum, etwa die Bedienelemente einer Maschine, mit der virtuellen Ebene, die ein Rechner bereitstellt. Mithilfe von Spatial-Computing kann sich ein Nutzer gleichzeitig in der physischen und virtuellen Welt aufhalten und in beiden Aktionen ausführen.
Die Weiterentwicklung von zweidimensionalen zu dreidimensionalen Umgebungen – bietet Nutzern die Möglichkeit, in virtuelle Räume einzutauchen und Inhalte zu erkunden. Die Erstellung dieser 3D-Umgebungen erfolgt mit Technologien wie fotobasierter Reproduktion und dreidimensionaler Modellierung.
Ein weiteres Element sind Avatare beziehungsweise „Human Digital Twins“. Dies sind virtuelle Charaktere, mit denen sich User durch das Metaverse bewegen. Aktuell handelt es sich oft um Avatare, die wie eine Comic-Figur aussehen. Auch hyperrealistische Systeme wie sogenannte „Meta Humans“ sind auf dem Vormarsch. Mit genügend Rechenleistung werden sich die Menschen in ein paar Jahren in hyperrealistischen Welten aufhalten, die kaum von der Realität zu unterscheiden sind.
Benutzerschnittstellen und Endgeräte – etwa VR-/AR-Headsets oder Notebooks und Mobilgeräte mit VR-Funktionen in Zusammenspiel mit neuen Schnittstellen erlauben es neue digitale Erlebnisse zu schaffen, die von 2D-PCs oder mobilen Schnittstellen bis hin zu haptischen Schnittstellen kompatibel sind. Durch Endgeräte, wie Controller mit haptischen Funktionen können Nutzer virtuelle Gegenstände berühren und erhalten eine entsprechende Rückmeldung.
IT- und Netzwerktechnologien – dazu zählen 5G- und künftig 6G-Mobilfunkverbindungen sowie Wireless-LANs auf Basis von WiFi 6. Eine wichtige Rolle spielen außerdem Cloud-Computing und Edge-Computing. Eine Verarbeitung von Daten am Rand des Netzwerks (Edge) ist nötig, um die Reaktionsschnelligkeit zu erhöhen.
Drei Formen des Metaverse
Für das Metaverse lassen sich nach Einschätzung von Reply gegenwärtig drei Haupteinsatzfelder definieren: der kommerzielle Bereich (Commercial), die Interaktion im sozialen Raum (Social) und der Einsatz in Unternehmen (Industrial).
Eine wichtige Rolle spielt derzeit das Commercial-Metaverse. Dieser Ansatz ermöglicht es beispielsweise Einzelhändlern, Elemente aus dem stationären Handel mit dem Online-Verkauf zu kombinieren. So kann ein Modegeschäft virtuelle Show-Rooms mit digitalen Nachbildungen von Kleidungsstücken ausstatten. Interessenten haben die Möglichkeit, die virtuellen Waren zu begutachten, sie zu berühren und eventuell mit ihrem Avatar eine Kleiderprobe durchzuführen.
Doch auch beim „physischen“ Einkauf vor Ort lässt sich das Metaverse einsetzen. So kann ein Interessent beispielsweise beim Betrachten eines „realen“ Produkts auf der virtuellen Ebene Zusatzinformationen abfragen, etwa ob ein Kleidungsstück in weiteren Varianten verfügbar ist. Für Hersteller wiederum bietet sich die Möglichkeit, ihre Marken und Produkte nicht nur in realen, sondern in virtuellen Shops zu präsentieren oder ihre Marke sowie ihre Produkte erlebbar zu machen.
Eine Herausforderung besteht darin, in Echtzeit die „richtigen“ Daten zu erfassen, etwa die Kommunikations- und Bewegungsmuster von Kunden und deren Avataren. Das gilt für biometrische Informationen wie die Bewegung der Augen sowie Informationen von IoT-Komponenten (Internet of Things) wie externe Sensoren. Das Datenvolumen, das für Zwecke wie Marktforschung und Marketing herangezogen wird, dürfte daher deutlich zunehmen. Deshalb sind Technologien wie künstliche Intelligenz und Machine-Learning nötig, um die Analyse dieser Daten zu beschleunigen. Dabei wird die Datenanalyse unter maximalen Privacy- und Sicherheitsanforderungen durchgeführt. Es wird zudem sichergestellt, dass Nutzerdaten nicht missbraucht werden.
Soziale Interaktion ändert sich
Neben dem B2C- und B2B-Handel wird das Metaverse auch die soziale Interaktion verändern. Erste Ansatzpunkte sind bereits vorhanden. So ermöglichen es Online-Gaming-Plattformen wie Roblox den Nutzern, mit ihren Avataren bei Sportwettkämpfen gegeneinander anzutreten. Der Sportartikelhersteller Nike hat auf Roblox mit Nikeland einen eigenen Bereich eingerichtet. Die Avatare der User treten dort in diversen Sportarten gegeneinander an oder trainieren mit den virtuellen Versionen von Sportstars. Außerdem haben User die Möglichkeit, ihre Spielfigur mit Taschen oder Caps von Nike ausstatten – gegen Bezahlung.
Diese Einkäufe und die Besitzrechte werden mit Non-Fungible-Tokens (NFTs) abgesichert. Dies sind kryptografische digitale Assets, die auf einer Blockchain registriert und übertragen werden können. Besitzer haben somit die Option, virtuelle Güter und die damit verbundenen NFTs weiterzuverkaufen. NFT sind aus weiteren Gründen wichtig. Sie sichern beispielsweise den Besitz einer digitalen Identität ab und gewährleisten die Interoperabilität zwischen Metaverse-Plattformen.
Immersive Erfahrung ausbauen
Das Social-Metaverse eröffnet nicht nur der Gaming-Branche neue Perspektiven. Auch Veranstalter von Ausstellungen und Konzerten sowie Anbieter aus dem Gesundheits- und Fitness-Bereich können mit virtuellen Events Interessenten ansprechen. Wichtig aus Sicht der Anbieter und Nutzer ist dabei, das immersive Element zu optimieren.
Der Teilnehmer eines Radrennens im Metaverse sollte beispielsweise von seiner Muskulatur, den Armen und Beinen sowie dem Rennrad eine physische Rückmeldung erhalten: Auf einer Kopfsteinpiste wie bei Radsportklassiker Paris-Roubaix wird der Fahrer durchgerüttelt; bei einer Sprintankunft muss er sich robust mit dem Ellenbogen gegen Mitfahrende durchsetzen. Das heißt, es sind physisch-digitale („phygital“) Komponenten erforderlich, die haptische und taktile Informationen in beide Richtungen übermitteln: die virtuelle und die physische Welt.
Industrial Metaverse: Mit dem Avatar ins Büro
Zu den interessantesten Anwendungen des Metaverse in Unternehmen zählen die virtuelle Collaboration und Augmented-Learning. Entsprechende Lösungen bieten Mitarbeitern die Option, mit ihren Avataren an Meetings teilzunehmen. Der Vorteil gegenüber Videokonferenzen ist, dass die Teilnehmer in besserem Maß die Körpersprache der Kollegen oder Kunden erfassen. Dadurch fällt es einfacher, Reibungsverluste bei der Kommunikation zu vermeiden und gezielt auf einzelne Teilnehmer einzugehen.
Diese Vorzüge zeigen sich ebenso bei der Einarbeitung von neuen Mitarbeitern. Unternehmen haben mithilfe von Metaverse-Anwendungen die Möglichkeit, das Onboarding von Beschäftigten zu vereinfachen, vor allem dann, wenn diese an einem anderen Standort tätig sind. Auch bei manuellen Tätigkeiten, etwa der Bedienung und Reparatur von Maschinen, lässt sich der Schulungsaufwand reduzieren. Etliche Industrieunternehmen führen zu diesem Zweck bereits Tests mit Augmented-Reality-Anwendungen und entsprechenden Brillen durch.
Das Industrial-Metaverse kann außerdem die Entwicklung und den Test von Produkten vereinfachen. Dabei kommen 4D-Simulationen zum Einsatz, die neben den drei räumlichen Dimensionen den Faktor Zeit berücksichtigen. In der Baubranche und der Medizin sind solche 4D-Modelle bereits im Einsatz. Angehende Chirurgen können beispielsweise im Metaverse an solchen Modellen komplexe Operationen trainieren – ohne Risiko für den Patienten. Solche Schulungen bieten sich im Vorfeld aufwändiger Montagearbeiten an.
Herausforderung: Sicherheit
Bei allen Vorteilen sind beim Metaverse potenzielle Risiken zu beachten. Besonders wichtig ist der Aspekt Sicherheit. Ein Grund ist, dass Metaverse-Implementierungen eine große Zahl von Ansatzpunkten für Cyber-Angriffe bieten, etwa IoT-Komponenten wie Sensoren sowie visuelle, haptische und taktile Ein- und Ausgabegeräte. Diese müssen, ebenso wie Daten, vor Attacken geschützt werden. Das erfordert angesichts der hohen Datenvolumina einen beträchtlichen Aufwand. Abhilfe schaffen KI-basierte Analyse- und IT-Security-Anwendungen.
Unzureichende Sicherheitsmaßnahmen können im Extremfall dazu führen, dass Hacker die digitalen Identitäten von Nutzern übernehmen und für ihre Zwecke missbrauchen. Zudem besteht die Gefahr, dass Manipulationen an Phygital-Systemen zu Verletzungen bei den Usern führen.
Technik und politische Rahmenbedingungen anpassen
Zu den technischen Herausforderungen zählt, dass mit wachsender Zahl von Metaverse-Instanzen die Bandbreite von Internet-Verbindungen und internen Corporate Networks nicht mehr ausreichen könnte. Selbst Breitband-Mobilfunktechniken wie 5G dürften an ihre Grenzen stoßen.
Weiterhin müssen die gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst werden. Negative Erscheinungen wie in der heutigen Online-Welt, etwa Hate-Speech, kriminelle Aktivitäten wie im Darknet und das Verbreiten von Fake-News dürfen im Metaverse keinen Raum haben. Besonders im Metaverse ist das relevanter denn je, da es eine weitere Dimension gibt. Das ist bei der Analyse von Nutzerdaten ein wichtiger Aspekt. Es muss sichergestellt sein, dass Datensicherheit und Privacy oberste Priorität haben und die Nutzer nicht nur die Kontrolle über ihre gekauften Assets haben, sondern auch über ihre persönlichen Daten, was ihr Nutzerverhalten einschließt.
Fazit
Zweifellos hat Metaverse das Potenzial, das Internet und dessen Nutzung auf eine neue Stufe zu heben. Davon können Bürger, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen gleichermaßen profitieren. Allerdings nur dann, wenn die Herausforderungen bewältigt werden, die mit diesem neuen Ansatz verbunden sind. Diese Herausforderungen stellen keine unüberwindbaren Hürden dar. Daher ist es an der Zeit, sich mit dem Thema Metaverse zu beschäftigen. Das gilt nicht nur für Unternehmen aus der Hightech- und Unterhaltungsindustrie. Auch für Unternehmen aus anderen Sparten und öffentliche Einrichtungen bietet das Metaverse einen Ansatzpunkt, um die Digitalisierung voranzubringen und Kunden wie Bürgern interessante und zeitsparende Services anzubieten.
Von Nils-Christoph Högemann, Senior UX Consultant bei Open Reply und Rene Schulte, Practice Lead Spatial Computing bei Reply