Wäre die Branche der Informations- und Kommunikations-Technologie (IKT) ein Land, stünde sie beim Energieverbrauch im internationalen Vergleich auf Platz 3. Nur China und die USA verbrauchen mehr Strom als die globalen IKT-Systeme.
Umso mehr der Klimawandel in den öffentlichen Fokus rückt, umso stärker gerät auch die energiehungrige IKT-Branche in Zugzwang. Die Industrie sucht daher nach Möglichkeiten, die Umweltwirkung von IKT-Systemen messbar zu machen und zu verbessern.
Der ökologische Fußabdruck von Hardware
Eine ganzheitliche Methode, um den ökologischen Fußabdruck von Hardware zu ermitteln, ist das so genannte Product-Life-Cycle-Assessment (PLCA). Im Idealfall werden mit dem Cradle-to-Grave-Ansatz alle Auswirkungen des Geräts berücksichtigt. Dazu zählen die für die Produktion verwendeten Rohstoffe, notwendige Logistik wie Transport und Lieferung, tatsächliche Nutzung durch den Verbraucher bis hin zum Recycling oder zur Entsorgung. Ein solches PLCA ist extrem aufwendig und benötigt Daten, auf die nur der Hersteller Zugriff hat. Als Endverbraucher ist man daher von den Angaben der Hersteller abhängig, die in der Regel nicht zur Verfügung gestellt werden.
Für IKT-Hardware gibt es mehrere Öko-Siegel; zu den bekanntesten gehört TCO. Während Monitore oder Drucker relativ häufig nach TCO bzw. dem Blauen Engel zertifiziert werden, kommen diese Siegel bei Notebooks und Co selten zum Einsatz. So hat Samsung 2019 z.B. nur ein einziges Tablet nach TCO zertifizieren lassen.
Möchte man als Endnutzer oder Unternehmen, den ökologischen Fußabdruck der eigenen Hardware ermitteln, bleibt oft nur eine äußerst grobe Angabe über generische Schätzwerte.
Der Energieverbrauch von Software
Während die Einstufung der Energieeffizienz von Haushaltsgeräten ein gängiger Standard ist (mein Kühlschrank hat die Einstufung A+++ bzw. A nach neuer Einstufung ab 2021), gibt es bisher keinen solchen Standard für Software, der Transparenz für Nutzer schafft. Im Gegensatz zum Kühlschrank hat dabei die Software maßgeblichen Einfluss darauf, wie viel Strom die Hardware über die Grundlast hinaus verbraucht.
Seit 2020 stellt der Blaue Engel für Software eine Möglichkeit dar, die Energie- und Ressourceneffizienz von Software auf den Prüfstand zu stellen und zertifizieren zu lassen. Die aktuelle Version nennt noch keine Schwellenwerte oder Grenzen, die einzuhalten sind und es gibt starke Einschränkungen bei der zertifizierbaren Software (Desktop-Applikationen mit User Interface).
Der reale von Software verursachte CO2-Ausstoß ergibt sich aus ihrem Stromverbrauch in Kombination mit dem am Verbrauchsort zum Verbrauchszeitpunkt zur Verfügung gestellten Energiemix‘ des Stromnetzes. Aufgrund dieser starken Abhängigkeit vom Einsatzort und -Zeit der Software, stellt der reine Stromverbrauch eine akkuratere Größe dar, um Aussagen über die Umweltwirkung treffen zu können.
Um den Stromverbrauch einer Anwendung zu ermitteln, müssen die verschiedenen Softwarekomponenten hinsichtlich ihrer Nutzungsmuster und des Energieverbrauchs der verschiedenen Nutzungsarten (z. B. Leerlauf, Standardnutzungsszenarien, Spitzenlast) analysiert werden. Der Energieverbrauch weist je nach eingesetzter Hardware und Betriebssystem außerdem starke Unterschiede auf, sodass Aussagen über den Verbrauch einer bestimmten Anwendung nur in Bezug auf das jeweilige Referenzsystem getroffen werden können.
Klingt kompliziert? Ist es auch. Da die benötigten Daten in der Regel nicht erhoben werden, berechnen die meisten Firmen den Fußabdruck ihrer IKT-Systeme entweder nicht oder beschränken sich auf den Jahresgesamtstromverbrauch der eigenen Serverräume und grobe Angaben zur eingesetzten Hardware. Mit diesem Ansatz lässt sich ein erster Eindruck von den Auswirkungen der IT-Landschaft gewinnen. Jedoch lassen sich nur schwer die Komponenten identifizieren, die besonders großen Einfluss haben, um gezielt Verbesserungsmaßnahmen zu ergreifen.
Der Verbrauch von Systemen, die nicht auf dem eigenen Rechner oder im eigenen Serverraum gehostet werden, gestaltet sich etwas einfacher. Die großen Cloud-Provider bieten eigene Tools an zur Schätzung des Energieverbrauchs und der GHG-Emissionen der gehosteten Anwendungen. Mit Cloud-Carbon-Footprint steht außerdem ein Open-Source-Multi-Cloud-Tool zur Verfügung, das die Daten von verschiedenen Providern zusammenführen kann. Aktuell haben all diese Tools noch deutliche Einschränkungen und Limitierungen. Ein Runterbrechen von Verbrauch auf einzelne Anwendungen oder User ist in der Regel nicht möglich. Auch stellt sich ein Vergleich der verschiedenen Anbieter schwierig dar, da die Tools unterschiedliche Methoden zur Schätzung der GHG-Emissionen anwenden und unterschiedliche Emission-Scopes berücksichtigen.
Ressourceneffizienz von IKT-Systemen verbessern
Um auch ohne detaillierte Kenntnis des Einflusses einzelner Komponenten den Stromverbrauch zu reduzieren, bieten sich einige Quick-Win-Maßnahmen als Ausgangspunkt an: Unnötige Datenübertragungen und -speicherungen sollten eliminiert und es kann ein intelligenter Lastausgleich vorgenommen werden. Redundanzen sollten entfernt werden, wenn sie nicht aus Sicherheits- oder Backup-Gründen notwendig sind. Server und Geräte lassen sich abschalten, wenn sie nicht gebraucht werden (z.B. am Wochenende). Energieintensive Berechnungen können zu einem Zeitpunkt angesetzt werden, zu dem das Stromnetz den grünsten Energiemix bietet.
Auch die Migration in die Cloud kann evaluiert werden, wobei der Standort des Hostings Berücksichtigung finden sollte. Und schließlich sollten die Nutzer geschult werden, damit sie den energiefreundlichen Einsatz von IKT verstehen und ihr Verhalten entsprechend anpassen.
Umweltfreundliche Softwarelösungen entwickeln
Da Elektrizität die wichtigste Ressource ist, die direkt von den Software-Anforderungen abhängt, konzentrieren sich umweltfreundliches Design, Coding und Computing häufig auf Aspekte wie Berechnungs-Effizienz, Datenmanagement, Daten-Kommunikation sowie das Energie-Bewusstsein der Software.
Was es bedeutet, Software unter Berücksichtigung dieser Aspekte zu entwerfen und zu programmieren, hängt stark von der jeweiligen Technologie ab. Beim Webdesign beispielsweise lässt sich durch eine Konzentration auf die Datenkommunikation viel erreichen. Stellschrauben sind die automatische Wiedergabe von Videos und die Größe von Bildern. Es gilt, das richtige Gleichgewicht zwischen User-Experience und Energiebedarf zu finden. Im Bereich der künstlichen Intelligenz hingegen spielt die Recheneffizienz eine viel größere Rolle. Das Trainieren von Modellen für Machine-Learning kann sehr energieaufwendig sein – vor allem, wenn das gewählte Modell nicht perfekt auf das zu lösende Problem passt. Der Einsatz von vortrainierten Modellen hilft eine ressourcenintensive vollständige Neuentwicklung zu vermeiden. Auch hier ist es eine Frage der Balance zwischen der erforderlichen Genauigkeit des Modells und seiner Energieeffizienz.
Da die Digitalisierung weiter voranschreitet und in Zukunft vielleicht auch die letzte Waschmaschine intelligent und vernetzt sein wird, steigt die Bedeutung von grüner IKT. Die großen Hoffnungen, die für das Bewältigen der imminenten, globalen Herausforderungen unserer Zeit in technologische Innovation gesetzt werden, sind nur dann begründbar, wenn es uns gelingt, Nachhaltigkeit in den Kern unserer IKT-Systeme zu integrieren.
Green-Tech war eines der vieldiskutierten Themen auf der Reply-Xchange. Über 1.300 Kunden und Mitarbeiter waren in der BMW-Welt in München und über 4.500 in Mailand vor Ort, um u.a. neueste Tech-Trends kennenzulernen.
Von Roberta Haseleu, Practice Lead Green Technology bei Reply und Sonja Fischer, Target Reply, und Practice-Mitglied Green Technology