Am 16. November 2018 veröffentlichte die Bundesregierung ihre Strategie zur Entwicklung und Anwendung künstlicher Intelligenz (KI) in Deutschland. Dieses Bekenntnis kam spät, aber es kam. Die deutsche Wirtschaft muss die staatliche Förderung als Impuls nutzen, bei dem Thema KI zu China und den USA aufzuschließen.
Dass die Bundesregierung die Relevanz des Themas künstliche Intelligenz erkannt hat, ist daran erkennbar, dass das Strategiepapier im Vergleich zu den meisten anderen Ländern recht umfassend ist. Das ist beachtlich, zumal im Juli 2018 lediglich strategische Eckpunkte vorlagen. Aus Sicht der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) hat die Bundesregierung mit Sachverstand an die Stärken und Schwächen des Industrie-, Dienstleistungs- und AI-Standorts Deutschland angeknüpft.
Zwar formulieren manche Passagen der nationalen Strategie lediglich Ansätze des Umgangs mit künstlicher Intelligenz in unserem Land; konkretere Angaben hätten eine bessere Orientierung gegeben. Allerdings braucht es zunächst noch demokratische Beteiligungsprozesse, um alle Beteiligten behutsam an den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und dessen wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen heranzuführen. Schließlich ist Künstliche Intelligenz noch ganz am Anfang seiner Evolution. Den meisten Menschen ist sie noch unbekannt. Und viele Menschen sorgen sich vor unbekannten Entwicklungen.
China fördert KI mit fünf Mal mehr Geld als Deutschland
Demokratische und föderale Prinzipien, wie Deutschland sie pflegt, haben in zahlreichen anderen Ländern weniger Bedeutung. Auch dies erklärt, dass beispielsweise China zurzeit umgerechnet zwei Milliarden Euro in einen KI-Kompetenzstandort investiert und chinesischen Unternehmen insgesamt 15 Milliarden Euro Gesamtfördervolumen verspricht. Dort hat ein nationaler Daten-Protektionismus, verbunden mit der schieren Menge von 1,4 Milliarden Einwohnern und den massiven IT-Investitionen einen prosperierenden Wirkungsraum. Die chinesische Regierung hat beschlossen, dass ihr Land in naher Zukunft die Technologiewelt beherrschen soll.
Die deutsche Strategie stellt drei Milliarden Euro bis zum Jahr 2025 in Aussicht. Und angesichts der Brisanz des Themas hat die Bundesregierung ihre Agenda spät konkretisiert. Allerdings: Viele deutsche Firmen hängen noch deutlich weiter hinterher. Die jüngste PwC-Studie zum Thema in Deutschland – „Künstliche Intelligenz in Unternehmen“ mit Umfrageergebnissen aus dem Oktober 2018 – belegt, dass 48 Prozent der Firmen hierzulande Künstliche Intelligenz bislang als „nicht relevant“ ansehen und weitere 28 Prozent das Thema zwar „relevant“ finden, „aber noch keine konkreten Planungen“ verfolgen. Bedenkt man, dass KI-Forschung und Deep Learning ganze Branchen, Geschäftsmodelle und Arbeitsmärkte stark verändern werden, muss sich die deutsche Wirtschaft fragen, ob sie nicht auch Nachholbedarf hat.
Unternehmen sind bei KI in der Hauptverantwortung
Beispielsweise ist die im Positionspapier der Bundesregierung verankerte (lebenslange) Bildung mit Blick auf die Digitalisierung eine wesentliche Unternehmensverantwortung. Die Bundes- und die Länderpolitik können da Rahmen setzen. Zukunftsweisende Bildungsangebote, Forschung, anwendbare KI-Praxis und Lernanreize für die Beschäftigten müssen allerdings die Arbeitgeber schaffen. PwC praktiziert das längst – alleine schon, um seinem Thought-Leadership-Anspruch zum Nutzen der Kunden gerecht zu werden.
Dass Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer am 22.11.2018 gegenüber der Süddeutschen Zeitung äußerte, Arbeitgeber würden ihm gegenüber häufig den Fachkräftemangel beklagen, die Ausbildung nötiger Fachkräfte sei ihnen aber zu anstrengend, ist bedenklich. Auch ist dies ein Signal für zu wenig Gestaltungsinitiative deutscher Firmen – nicht nur der Großkonzerne, sondern auch der mittelständischen Unternehmen – bei den technologischen Herausforderungen der Zukunft. Es ist unsere Pflicht als Unternehmer, Manager und Bürger, die Strategie der Bundesregierung durch Pläne, hochwertige Daten und der Gesellschaft nützende, vertrauensbildende KI-Anwendungen erfolgreich mit Leben zu füllen. Die Konkurrenz aus China und dem Silicon Valley schläft schließlich nicht. Im Gegenteil: Die ist früher aufgestanden als die meisten deutschen Wettbewerber.
Jammern bringt Deutschland keinen einzigen Algorithmus weiter
Na klar, die Vereinigten Staaten! Dort nehmen Arbeitgeber und Bürger technologische Neuerungen viel schneller an als hierzulande, auch „denkende“ Maschinen. Dort herrscht mehr Neugier, Spaß, Investitions- und Entscheidungslust – sowie ein eher entspanntes Verhältnis zum Scheitern. US-amerikanische Hochschulabsolventen und Firmengründer sind auch deshalb schneller fürs unternehmerische Risiko zu haben. Zudem ist das Investitionsklima für neue Technologien angesichts der wachsenden Wirtschaft und der niedrigen Zinsen sehr günstig.
Können wir Deutschen uns leisten, unsere vermeintlichen Standortnachteile – mehr Bürgerskepsis gegenüber Künstlicher Intelligenz als in den USA, weniger Staatsgeld für KI als in China, schwächeres Wirtschaftswachstum als in China und den USA, stärkere Bürgerpartizipation an der Zukunftsgestaltung et cetera – weiter zu bedauern? Noch vielleicht. Aber wie lange? Der Wirtschaftsstandort Deutschland kann zu vorauseilenden Standorten wie den genannten nur aufschließen, wenn eine breite Initiative aus Politik, jedem einzelnen Unternehmen und jedem Bürger innerhalb eines proaktiven Beteiligungsprozesses aufersteht. Das muss unsere Strategie sein!
Eine einzigartige KI-Mixtur als neuer deutscher Exportschlager?
Wir müssen uns unserer Stärken und Kernkompetenzen besinnen: nämlich der Gesellschaft nützende, hochqualitative Produkte und Lösungen zu entwickeln. Ging es bisher vor allem um mechanische Maschinen, müssen wir nun auch bei lernenden „Software-Maschinen“ Weltspitze werden. Nur wenn wir unsere Stärken jetzt auch auf KI übertragen, wird Deutschland ein führender Standort für Forschung zu neuen Technologien wie „denkenden Maschinen“. Hochwertige Innovationen verbunden mit einem verantwortungsvollen Umgang mit den Technologien, Daten und Prozessen und dadurch ein breites Vertrauen in Künstliche Intelligenz – diese Mixtur könnte sogar ein neuer Exportschlager werden.
Die finanzielle Förderung in Höhe von drei Milliarden Euro bis 2025 durch die Bundesregierung für den Ausbau von KI-gesteuerten Prozessen und die Förderung von KI-Forschungszentren, kann nur ein Teil des Transformationsprozesses sein. Maßnahmen wie Investitionszuschüsse und Richtlinien zur Investitionsbeschleunigung unterstützen die Transformation positiv. Doch wie wir unsere „digitalen“ Standortbedingungen auch drehen und wenden: Die Unternehmen sind genau wie die Politik in der Pflicht – auch bei ethischen Fragen. Die KI-Strategie der Bundesregierung bezieht auch einen regulatorischen Ordnungsrahmen und vertrauensfördernde Standards ein. Diese müssen schnellstmöglich erstellt werden. PwC sieht sich auch hier in der Verantwortung. Gemeinsam mit der Fraunhofer-Gesellschaft erarbeiten wir einem Anforderungskatalog für den sicheren und belastbaren Einsatz von KI-Anwendungen in Systemen und Prozessen.
Für den KI-Wettbewerb in die Kompetenzen von Menschen investieren
Die deutsche Wirtschaft darf sich im globalen Wettbewerb um die beste KI-Strategie nicht den Rang ablaufen lassen. Sonst droht uns das Schicksal eines früher weltmarktführenden Mobilfunktelefon-Herstellers, der in der Smartphone-Revolution erst zum Statisten und dann zum Abgehängten schrumpfte. Deutschland darf auch keine technologieaffinen Hochschulabsolventen und motivierten Technologiefachkräfte an (noch) dynamischere Technologiestandorte verlieren.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sagt: „Wir müssen genauso viel in die Kompetenzen von Menschen investieren wie in Technologie. Und es muss klar sein: Wir brauchen Kooperation statt Konkurrenz zwischen Menschen und Maschinen.“ Dass wir hier schon auf einem guten Strategie-Weg sind, signalisiert die schon erwähnte PwC-Studie: Danach wollen 71 Prozent von 255 befragten KI-affinen Firmen die Künstliche Intelligenz mehr zur Unterstützung menschlicher Arbeit einsetzen statt sie zu ersetzen.
Von Christian Kirschniak, Leiter Data & Analytics bei PwC Europe und Hendrik Reese, Lead Responsible AI und Trust in AI bei PwC in Deutschland
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