Seit 2011 hat sich in Sachen Datenschutz viel verändert. Damals mussten beispielsweise in einem Hamburger Einkaufszentrum 24 Videokameras demontiert werden, weil die Sicherheit der Besucher nach Ansicht der hanseatischen Datenschützer keine ausreichende Rechtfertigung für die massive Überwachung darstellte. Sechs Jahre später lassen sich, aufgrund der veränderten Sicherheitslage, die Argumente anders gewichten: noch immer zielt das Bestreben der Betreibergesellschaften darauf hin, rund um Einkaufszentren mehr Kameras zu installieren – doch mittlerweile sind die Vorzeichen für die Umsetzung dieses Vorhabens gar nicht mehr so schlecht, denn das Thema Videoüberwachung wurde im aktuell geltenden BDSG beziehungsweise DSGVO bereits entsprechend berücksichtigt. Seit Mai dieses Jahres steht somit deren Ausweitung an öffentlich zugänglichen Orten grundsätzlich nichts mehr im Wege.
Zwar muss der Einsatz von Kameras im Einzelfall weiterhin durch die Datenschutzbehörden der Länder überprüft werden, aber mit der Maßgabe einer stärkeren Berücksichtigung der Sicherheitsbelange. Allerdings obliegt es den Datenschützern dabei die Frage zu klären, was das Schutzbedürfnis Dritter bedeutet und ob dieses eine Videoüberwachung rechtfertigt. Während es dafür also gesetzliche Regelungen gibt, die transparent gemacht werden können, lässt eine andere Form der Videoüberwachung, trotz Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben, mehr Diskussionsspielraum – wie die Causa Real in den letzten Wochen gezeigt hat.
Fakten zur generellen Videoüberwachung
Das wichtigste Argument für die Kontrolle des öffentlichen Raumes via Videokameras ist, dass sich dadurch die Sicherheit erhöhen lässt oder dass die Aufnahmen zur Aufklärung von Verbrechen genutzt werden können. Doch gerade letzteres ist umstritten: in 2015 wurden in Deutschland 840.000 Straftaten an Bahnhöfen und Zügen verübt, davon ließen sich beispielsweise nur rund 1.500 Straftaten – das sind gerade mal 0,18 Prozent – durch den Einsatz von Videokameras aufklären (Quelle: https://www.produktion.de/webtipps/videotechnik-sicherheit-oder-bespitzelung-102.html?page=2 )
Diese Zahlen werfen die Frage auf, aus welchem Grund öffentliche Räume zukünftig noch stärker überwacht werden sollen und wie sich, unter den gegebenen Umständen die Privatsphäre des Einzelnen schützen lässt. Noch sind zum Schutz des Individuums im BDSG strikte Regeln vorgegeben: Für den Fall, dass Kameraaufnahmen einer bestimmten Person zugeordnet werden können, ist diese gemäß § 6b Absatz 4 BDSG darüber zu unterrichten. Zweck dieser Regelung ist es, Transparenz zu schaffen und der identifizierten Person die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung und die Verfolgung ihrer Rechte zu ermöglichen. Inhaltlich geht die Unterrichtungspflicht über die Hinweispflicht hinaus. Eine Unterrichtung hat über die Art der Daten, die Zweckbestimmung der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung und die Identität der verarbeitenden Stelle zu erfolgen. Die Notwendigkeit einer Benachrichtigung besteht erst bei einer tatsächlichen Zuordnung, allein die Möglichkeit dazu macht eine Benachrichtigung noch nicht erforderlich. Die Benachrichtigung hat bei der erstmaligen Zuordnung zu erfolgen.
Aber auch, wenn die Aufnahmen nicht unmittelbar Personen zugeordnet werden können, sind für deren Speicherung enge Grenzen gesetzt: Gemäß § 6b Absatz 5 BDSG sind die Daten der Videoüberwachung unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind oder schutzwürdige Interessen der Betroffenen einer weiteren Speicherung entgegenstehen. Das ist der Fall, wenn eine Gefahr nicht weiter abgewendet werden muss oder eine Beweissicherung nicht notwendig ist. Ob eine Sicherung des Materials notwendig ist, dürfte grundsätzlich innerhalb von ein bis zwei Tagen geklärt werden können. Das bedeutet, dass Videoaufzeichnungen grundsätzlich nach 48 Stunden zu löschen sind. In begründeten Einzelfällen kann eine längere Speicherfrist angenommen werden, etwa wenn an Wochenenden und Feiertagen kein Geschäftsbetrieb erfolgt. Da sich die gesetzliche Speicherdauer am Aufzeichnungszweck orientiert, kann der Zeitpunkt der Löschpflicht je nach Einzelfall variieren.
Allerdings ändert sich ab Mai 2018 die Sachlage – dann gilt hier nur noch die DSGVO. Im Gegensatz zum BDSG enthält die DSGVO keine konkreten Regelungen zur Zulässigkeit von Videoüberwachungen. Diese wird lediglich in Artikel 35 EU-DSGVO erwähnt, der auch die Notwendigkeit der so genannten Datenschutz-Folgeabschätzung geregelt. In Artikel 35 (7) ist dann exakt aufgeführt, was dargestellt werden muss, um zu prüfen, welche Interessen überwiegen – die der verantwortlichen Stelle oder die der Betroffenen.
Fragen zur Kundenanalyse via Videoüberwachung
Seit dem 15. Dezember 1983 ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – als eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – im so genannten Volkszählungsurteil vom Bundesverfassungsgericht als Grundrecht anerkannt und dient unter anderem als Basis für das Bundesdatenschutzgesetz. In erster Linie soll mit dem Datenschutz die Privatsphäre des Einzelnen dadurch geschützt werden, dass jeder selbst bestimmen kann, wem er seine Daten zur Verfügung stellt. Daraus lässt sich generaliter ableiten, dass Unternehmen nicht uneingeschränkt frei darin sind, wie sie Kundendaten nutzen können. Der Umgang mit diesen ist in den entsprechenden datenschutzrechtlichen Grundprinzipien geregelt: Zum Beispiel durch den Grundsatz der ‚Transparenz’, der sicherstellen soll, dass Nutzer ausreichend in Kenntnis gesetzt werden und die Möglichkeit zur Nachprüfung gewährleistet sein muss.
Selbstverständlich lässt sich dieser Grundsatz nicht unmittelbar mit der Erhebung und Verwendung der Daten im Rahmen der Videoanalyse von Real in Zusammenhang bringen, da hier laut Angaben der Supermarktkette „keine, einzelnen Kunden zuordenbare Persönlichkeitsmerkmale gespeichert oder übertragen“ worden sind. Zudem hatte auch das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht die Unbedenklichkeit des Systems bescheinigt, aufgrund der Tatsache, dass im vorliegenden Fall keine personenbezogenen Daten erhoben wurden.
Fraglich ist in diesem Kontext jedoch, ob Informationen über Alter und Geschlecht, die dafür verwendet werden, um eine entsprechende Werbung gezielt auf einen Kunden abzustimmen nicht dazu geeignet sind, diesen in einer bestimmten Art und Weise zu manipulieren. Selbst wenn bei diesem Test in den Real-Märkten auch nur im Fokus stand, die Wirksamkeit des Werbemediums zu evaluieren, so betätigt sich doch der Kunden mit Betreten der Kassenzone zwangsläufig als Proband und stellt Daten für eine Analyse zur Verfügung, ohne vorher nach seiner Einwilligung dafür gefragt worden zu sein. Der Hinweis „Dieser Markt wird videoüberwacht“ dient hierfür nicht ausreichend als Information, weil sich darauf nicht schließen lässt, dass an der Kasse eine Gesichtsanalyse mittels Kamera durchgeführt wird – sondern eher, dass dies zum Schutz gegen Diebstahldelikte dienen soll.
Fazit für den Handel
Die Technologie ermöglicht Handelsunternehmen immer mehr Daten über ihre Käuferschaft zu sammeln. Somit ist es verständlich, dass alle verfügbaren digitalen Mittel genutzt werden, um das Verhalten vor Ort im Ladengeschäft analysieren und das Wissen entsprechend verwenden zu können, zum Beispiel für personalisierte Angebote und Preise. Schon allein aus dem Grund, um den Wettbewerbsvorsprung, den die Anbieter im Internet über die Datengenerierung erhalten auszugleichen. Auch wenn diese Vorgehensweise im Internet eventuell toleriert wird stellt sich trotzdem die Frage, ob es tatsächlich für jeden Kunden auch in Ordnung ist, dass er in seinem realen Leben als unfreiwilliger Proband per Gesichtserkennung Daten an das Unternehmen liefert.
Selbst wenn es sich nicht um personenbezogene Daten handelt – so sollten Unternehmen vielleicht darüber nachdenken, inwieweit sie dem Bedürfnis der Kunden nach Transparenz nachkommen (möchten). Ob hier zum Beispiel das Schild „Dieser Laden wird videoüberwacht“ tatsächlich eine ausreichende Information für den Kunden darstellt und einer fairen Aufklärung der Gegebenheiten entspricht. Das Unternehmen Real räumte zumindest ein, dass „der Nutzen durch den ‚Einsatz technologischer Weiterentwicklungen’ für die Kunden im vorliegenden Fall nicht nachvollziehbar gewesen sei und dass „künftig der Einsatz solcher Weiterentwicklungen in enger Abstimmung mit den ‚Kundenbeiräten und Fokusgruppen’ erörtert werde“.
Vielleicht möchte ja nicht Jeder überall die Kontrolle über seine Daten abgeben, vor allem nicht ohne darüber Bescheid zu wissen und eventuell wird ja sogar in nicht allzu ferner Zukunft der freiwillige Verzicht einer kompletten Überwachung zu dem Differenzierungsmerkmal gegen Wettbewerber?
Von Bernd Fuhlert, Geschäftsführer @yet GmbH und Experte für Datenschutz und Online Reputation Management
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