Wieviel Strom fließt wann und wo durch die Netze? Wo gibt es Engpässe, wo Überkapazitäten? Was passiert, wenn Windräder und Solarzellen zusätzliche Energie einspeisen? Die Antworten auf diese Fragen sind für die Energiewende essenziel – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Doch um planen zu können, muss man die Infrastruktur sehr genau kennen. Per Crowdsourcing sammeln jetzt Forscher der Technischen Universität München (TUM) Daten, die über eine Open-Source-Plattform von jedermann genutzt werden können.
Hunderte Freiwillige sind schon unterwegs und täglich werden es mehr. Ausgerüstet mit der „OpenGridMap-App“ auf ihren Smartphones streifen sie durch München, Berlin, Tokyo und sogar durch Teheran. Wieder ein neues Handy-Spiel? „Nein, wir jagen keine Pokémon“, versichert Jose Rivera, Leiter des Projekts OpenGridMap. „Was uns interessiert, ist die elektrische Infrastruktur: Hochspannungs- und Niederspannungsleitungen, Trafohäuschen, Umspannungseinrichtungen, Windräder und Solaranlagen.“
Die Nutzer der App übermitteln Fotos und Standortdaten an den Server in der Informatik-Fakultät der TU München. Dort werden die Informationen analysiert, ausgewertet und am Ende in das Open-Source-Landkartensystem „OpenStreetMap“ hochgeladen.
Die Energiewende planen
Das Ziel ist eine Weltkarte der Stromnetze. „Diese ist eine Grundvoraussetzung für eine Energiewende – nicht nur bei uns, sondern in allen Ländern der Erde. Man kann einen Umbau der Energie-Versorgung nur dann planen, wenn man genau weiß, wo Leitungen liegen, an welchen Stellen der Strom aus den Hochspannungsleitungen transformiert und in die Niederspannungsnetze eingespeist wird“, erläutert Prof. Hans-Arno Jacobsen, Leiter des Lehrstuhls für Energieinformatik und Middleware an der TUM.
Auf dieser Basis lässt sich dann beispielsweise simulieren, wie sich die Einspeisung regenerativer Energien auf das Gesamtnetz auswirkt, wo Engpässe oder Überkapazitäten entstehen und wo Speicher gebaut werden könnten.
Für solche Berechnungen fehle bisher eine solide Datenbasis, so Rivera: „Natürlich kennt jeder Energieversorger seine Netze, aber es gibt viele Energieversorger und nur wenige machen ihre Daten öffentlich zugänglich. In den Schwellenländern kommt erschwerend hinzu, dass die Informationen oft nicht einmal digitalisiert sind. Eine Firma zu beauftragen, die Infrastruktur für komplette Kontinente oder gar die ganze Welt zusammenzustellen, wäre für die Forscher unbezahlbar.“
Die Crowd nutzen
Die kostengünstige Alternative: Crowdsourcing. Das Team der TU München musste dabei nicht bei Null anfangen: Eine Community von Freiwilligen sammelt seit mehr als 10 Jahren Daten für die Wiki-Weltkarte OpenStreetMap. In diesem öffentlich zugänglichen Datensatz befinden sich auch Informationen zu den Stromnetzen. „Diese sind allerdings zu unvollständig und nicht verifiziert“, erklärt Rivera. „Und genau das wollen wir jetzt ändern.“
Vor einem halben Jahr hat der Forscher vom Lehrstuhl für Energieinformatik und Middleware seine OpenGridMap-App in den Google-Playstore eingestellt und seit dem sucht er Freiwillige, die mit ihren Smartphones Windräder, Solaranlagen, Trafohäuschen und Stromleitungen kartieren.
Rivera überprüft die Informationen – ist ein Trafohäuschen wirklich ein Trafohäuschen? – und lädt die Daten in die Open-Source-Landkarte hoch. Dort wird das Netz der verifizierten Stromnetze immer dichter. Wie ein Geflecht von Adern durchziehen die roten Linien die Karte.
Je engmaschiger das Netz der kartierten Punkte, desto mehr Informationen lassen sich generieren. In Garching beispielsweise, wo besonders viele Freiwillige unterwegs sind, konnte der Forscher mit Hilfe eines neuen Algorithmus die Lage der unterirdischen Leitungen berechnen, die zu den Häusern führen.
Informationen gewinnen
Die Daten aus dem Projekt sollen Ingenieuren und Wissenschaftlern auf der ganzen Welt zur Verfügung stehen. „Mögliche Anwendungen für die OpenGridMap gibt es viele,“ betont Prof. Jacobsen: „Man könnte untersuchen, ob es möglich ist, ein Bundesland wie Bayern energieautark zu machen.“ Und wer die Infrastruktur in Schwellen- und Entwicklungsländern verbessern wolle, erkenne auf einen Blick, wie weit ein Dorf von der nächsten Stromleitung entfernt ist.
Kein Wunder, dass das Projekt OpenGridMap auf großes Interesse stößt: Siemens ist Mentor in dem Projekt und auch die Weltbank unterstützt das Vorhaben. Weitere Förderung erhält es durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Initiative Software Campus und die Alexander von Humboldt Stiftung.