Sinn und Unsinn von Kennzahlen im Rechenzentrum

Tobias Wolf, Produktmanager für den Bereich Kaltwassersätze beim deutschen Klimaspezialisten Stulz

Im Jahr 2007 trat der PUE-Wert seinen weltweiten Siegeszug an. Schnell entwickelte sich der Energieeffizienzwert für Rechenzentren zum Imagefaktor einer ganzen Branche. Niedrige PUE-Werte wurden sogar zum wichtigen Kaufkriterium für einzelne Systeme. Doch wie zuverlässig sind solche Aussagen in der Praxis? Tobias Wolf, Produktmanager für den Bereich Kaltwassersätze beim deutschen Klimaspezialisten Stulz, gibt im Interview Einblicke zu Sinn und Unsinn von Kennzahlen im RZ-Betrieb.

 

Wo liegen die Herausforderungen beim Einsatz von Kennzahlen im Datacenter? Die Werte sind doch klar definiert und für jeden nachvollziehbar.

Das ist leider nur in Teilen richtig. Natürlich sind Kennwerte klar definiert und durch Formeln eindeutig herleitbar. Das Problem sind eher die zugrundeliegenden Messwerte, deren Interpretation sowie die teils fahrlässige Verwendung von Kennzahlen. Man muss sich nur einmal die Fülle an Kennzahlen vor Augen führen, die bei der Effizienzmessung herangezogen werden. Sich als Betreiber oder Rechenzentrumsplaner in diesem Wust zurechtzufinden und die wirklich relevanten Zahlen für das eigene Projekt zu identifizieren, ist manchmal recht schwierig.

 

Stulz baut Anlagen für Klimatisierung von Rechenzentren. Können Sie ein paar wichtige Kennwerte nennen, die im Bereich der Kälteerzeugung wichtig sind?

Hier wäre als Erstes die Kälteleistungszahl bzw. der EER zu nennen. Dieser Kennwert wird fast immer zur groben Bewertung der Effizienz von Einzelgeräten herangezogen und bezeichnet das Verhältnis von Stromverbrauch zu Kälteleistung. Die Systemeffizienz einer kompletten Anlage ist damit jedoch nicht zu bestimmen. Zudem wird der EER immer nur für die höchste zu erwartende Außentemperatur am Aufstellungsort angegeben. Somit kann er ganz offensichtlich keine Aussage über die Ganzjahreseffizienz machen, da diese stark von den klimatischen Schwankungen im Jahresverlauf abhängt. Diese Tatsache verdeutlicht noch einmal stärker, wieso der Wert zur Effizienzmessung von Komplettsystemen ungeeignet ist.

 

Gibt es zuverlässigere Werte, die Schwankungen im Jahresverlauf ausreichend berücksichtigen?

Ja, beispielsweise die Kennwerte ESEER und SEPR. Diese lassen schon genauere Aussagen zu. Zwar sind auch hier die Werte stark idealisiert, sie beschreiben aber zumindest Ganzjahreswerte mit höherer Genauigkeit. Die saisonalen Kennzahlen greifen dabei auf vier Betriebspunkte bzw. Temperaturwerte zurück – was schon einmal eine grundlegende Verbesserung ist. Jedoch haben ESEER und SEPR auch gewisse Einschränkungen. So ist der ESEER generell nur für den Bereich Komfortklima relevant, da dieser ausschließlich für Außentemperaturen über 20 °C berechnet wird. Der SEPR ist hier noch der genaueste Wert, weil er eine ganzjährige Kühlung – auch im Winter – zugrunde legt. Jedoch wird die Freikühlleistung nicht ausreichend berücksichtigt.

 

Es scheint fast, als würde es keinen wirklich perfekten Messwert für Energieeffizienz im Rechenzentrum geben. Was ist denn mit dem PUE?

Bei Stulz ist der PUE sicherlich der umstrittenste Kennwert von allen. Wenn die Daten des jeweiligen Rechenzentrums solide ausgewertet werden, ist der PUE eine hervorragende Messgröße für die Effizienz. Hier kommen wir aber zu einem grundlegenden Problem. Der PUE-Wert setzt den Gesamtenergiebedarf des Rechenzentrums in Relation zur Energieaufnahme der Serverracks. Er ist ursprünglich als Kontrollwert definiert worden, in den immer die Messdaten eines vollständigen Betriebsjahres einfließen. Im Vorfeld einer RZ-Planung ist somit eine Aussage zum PUE theoretisch überhaupt nicht möglich. Denn es liegen ja keine validen Daten zu Betrieb, Auslastung und Wetter vor. Das heißt, man verlässt sich in diesem Fall ausschließlich auf Daten aus einer Simulation.

Kennzahlen im Rechenzentrum – Teil 1: EER, ESEER und SEPR

 

Wie kommen denn Aussagen, wie „mit unserer Anlage können Sie einen PUE von 1,1 erreichen“ zustande? Handelt es sich hierbei um bloße Werbeversprechen?

Das glaube ich nicht. Rein theoretisch sind PUE-Werte von 1,1 sicherlich realisierbar. Man sollte solche Werte aber genauestens hinterfragen. Wenn wir basierend auf der PUE-Formel den Wert 1,1 zugrunde legen, muss ja der energetische Anteil der Rechner 90,90 % des Gesamtenergiebedarfs ausmachen. Wie kann das sein? Dann wären nur noch 9,1% übrig – unter anderem für Kühlprozesse, Stromverteilung und unterbrechungsfreie Stromversorgung. Wenn das Rechenzentrum in Nord-Schweden steht und man durch freie Kühlung nahezu ganzjährig ein ideales Temperaturniveau für die Rechner-Infrastruktur gewährleisten kann, ist vielleicht ein PUE von 1,1 machbar. Plant man sein Rechenzentrum hingegen im Mittelmeerraum, sind solche Werte nicht sehr realistisch.

 

Und wenn man als Rechenzentrumsplaner auf einen festen Ziel-PUE besteht, weil man vor Investoren oder Auftraggebern eine Amortisationsrechnung oder einen Rechenzentrums-Vergleich vorweisen muss?

Erst einmal sollte man sich nicht durch reine PUE-Versprechen blenden lassen. Es gibt aber durchaus seriöse Methoden, um einen sogenannten Draft-PUE basierend auf Simulationswerten zu errechnen. Wichtig hierbei ist nur, dass die zugrundeliegenden Werte realistisch sind. Wenn wir bei Stulz gebeten werden bei einer PUE-Berechnung zu unterstützen, fragen wir bei unserem Auftraggeber diverse Werte an, die einen Einfluss haben. Die wichtigsten sind das individuelle Wetterprofil des Standortes, die Betriebsart und die möglichst exakt prognostizierte Last des Rechenzentrums. Bei diesen Werten müssen wir einfach auf die Genauigkeit vertrauen. Zusammen mit den von uns erhobenen Werten für Effizienz und Leistung kann dann auch eine relativ realistische PUE-Simulation durchgeführt werden. Denn die Daten ergeben sich direkt aus dem Design unserer Geräte. Hier sind wir uns deshalb zu 100 Prozent sicher, dass diese auch korrekt sind.

 


Kennzahlen im Rechenzentrum – Teil 2: PUE

 

Man kann also durchaus sagen, dass Effizienzwert-Versprechen ohne genaue Analyse stets mit Vorsicht zu genießen sind?

Ja, insbesondere wer sich später rechtfertigen muss und nicht möchte, dass der Energieverbrauch seines Rechenzentrums durch die Decke schießt, sollte genau hinterfragen, wie die prognostizierten Werte zustandekommen. Grundsätzlich gilt es bei der Draft-PUE-Berechnung, sämtliche Ungenauigkeiten zu eliminieren. Deshalb sollte man Komponenten und deren EERs nicht isoliert betrachten, einzelne Betriebspunkte nicht für eine Gesamtjahresbetrachtung heranziehen und sich nicht auf idealisierte Gesamtjahreskennwerte verlassen.

 

Was empfehlen Sie, wenn absolut verlässliche Daten benötigt werden?

Wer beim Thema Kühlungseffizienz ganz sicher gehen möchte, hat bei Stulz die Möglichkeit, einen individuellen Gerätetest durchzuführen. Stulz unterhält dazu ein eigenes Testzentrum. Die hier gewonnenen Werte werden exakt auf die späteren Last- und Umweltbedingungen des Kunden zugeschnitten und quasi unter echten Betriebsbedingungen gemessen. Damit haben die Messergebnisse auch eine entsprechend hohe Aussagekraft hinsichtlich der tatsächlich erzielbaren Betriebseffizienz.

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