OTT bescherrt der Film- und Fernsehindustrie erneut den Wilden-Westen

Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur
Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur

Die herkömmlichen Fernsehsender haben rund um den Globus keine Zukunft mehr. Schuld daran sind unsere Kinder.

Heute findet man immer weniger zufriedene TV-Glotzer, die vor ihrem Fernseher sitzen und die Programme aus ihren Tausenden von Kanälen auswählen. Solche Menschen gibt es nur noch in den hohen Altersklassen und die Fernsehindustrie hat dies kommen gesehen.

Unsere Kinder wuchsen mit PCs, Tablets und Smartphones auf und sind es von Kindesbeinen gewohnt, alles, überall und jederzeit abrufen zu können. Dieses Verhalten ist für unsere Kinder völlig normal. Das Problem besteht jedoch darin, dass das Verhalten der Kinder auf deren Eltern abgefärbt.

Die Millennials schauen zwar noch einen Teil ihrer Programme zu Hause an, aber haben kein Problem damit, die Bereitstellung der Bewegtbilder grundlegend zu verändern. Unsere Kinder nutzen nicht mehr das klassische Broadcasting, sondern das OTT- (Over-the-top-)Angebot, welches über das Internet auf das Abspielgerät kommt. Dadurch können unsere Kinder ihre Shows und Serien sehen, wann sie sie sehen wollen.

Die klassischen OTT-Content-Anbieter (Netflix, Hulu, Amazon und andere) haben inzwischen auch enorme Fortschritte im traditionellen TV-Markt gemacht und locken die Zuschauer mit neuen Inhalten und preiswerten werbefreien Angeboten. Auch ist der Aspekt interessant, dass die meisten dieser Unternehmen mit ihren Inhalten deutlich mehr internationale Einnahmen erzielen als auf ihren angestammten (landesspezifischen) Märkten.

Laut einer PwC-Studie ist Netflix das mit Abstand am schnellsten wachsende Unternehmen in Sachen Globalisierung: Sein internationaler Anteil am Streaming-Umsatz lag vor fünf Jahren bei 10 Prozent, ist aber im vergangenen Jahr auf 73 Prozent gestiegen Netflix nimmt inzwischen den fünften Platz bei den Gesamtausgaben für Film und Fernsehen ein und liegt noch hinter den klassischen Platzhirschen (NBCUniversal, Fox, Disney und Time Warner), aber schon vor CBS, Amazon, Hulu, Facebook und Apple. Aus diesem Grund investiert Netflix auch zunehmend in internationale Inhalte. Diese Inhalte werden für ein Land produziert und anschließend den vielen Märkte auf der ganzen Welt zur Verfügung gestellt. Dadurch verteilt das Unternehmen die Investitionskosten auf mehr als 100 Millionen Streaming-Abonnenten, und nicht nur auf ein kleines Land.

Alle anderen Content-Produzenten haben inzwischen die schnelle weltweite Marktdurchdringung von Netflix erkannt und entwickeln ähnliche schnell Marktstrategien für ihre Inhalte. Die großen Kabelanbieter (Comcast, Time Warner, Sky, Rogers, Orange, Airtel, Japan Cable, BT, Foxtel, Shaw) rund um den Globus haben gegen diese Verbreitungsstrategien keine Antworten.

Auf der Future of Television Conference Anfang des Jahres wurde die OTT-Szene als „Wilder Westen“ bezeichnet, die mit einer schwindelerregenden Reihe von neuen Medienunternehmen, Plattformen, Geräten und einer unüberschaubaren Anzahl unterschiedlicher Preismodelle den Markt verändert. Während die USA dabei sind die Netzneutralität zu opfern, fordern die großen Kabelgesellschaften rund um den Globus staatliche Unterstützung für ihre traditionellen Geschäftsmodelle.

Jeremy Darroch (CEO von Sky) forderte die europäischen Politiker auf, ein einheitliches regulatorisches Umfeld sicherzustellen und verstieg sich sogar zu der Aussage, dass lizenzierte Sender im Wettbewerb mit globalen Online-Plattformen erheblich benachteiligt seien. Aus seiner Sicht muss der TV-Markt weiter geregelt werden. Hierbei wird vergessen, dass die Freiheiten des Marktes die Möglichkeiten bieten, ein neues Publikum zu erreichen. Dorrach behauptet jedoch, dass die traditionellen TV-Provider durch das Fehlen gleicher Wettbewerbsbedingungen im Wettlauf um den Zuschauermarkt benachteiligt werden.

In den USA haben die National Cable & Telecommunications Association (NCTA) und ähnliche Vereinigungen ihrer Regierung zugesagt, dass die OTT-Angebote nicht blockieren, gedrosselt oder beeinträchtigen würden. In Wahrheit ist jedoch genau das Gegenteil eingetreten. Aus diesem Grund mussten die OTT-Anbieter eine schnelle und zuverlässige Lieferung ihrer Inhalte an die Nutzer gewährleisten.

Um den Transport der Inhalte zu beschleunigen und die Anzahl von Netzwerk-Hops zu minimieren, haben viele OTT-Inhaltsanbieter direkte Netzwerkverbindungen zu öffentlichen Cloud-Anbietern aufgebaut. Daher wurden Firmen wie Akamai und Limelight zu Experten im Bereich der Content-Delivery-Networks (CDNs).

Die Content-Provider (Netflix, Hulu, HBO Go, CBS All Access und Amazon) bauen ihre Computing- und Storage-Caching-Geräte strategisch am Ende der Netzwerke auf, damit keine Videostreams über weite Entfernungen übertragen werden müssen.

Ruft eines unserer Kinder einen Inhalt aus dem Internet ab – unabhängig davon, ob es sich im Heimnetzwerk oder einem Mobilfunknetz befindet, dann werden die Daten aus einem Cloud-Datencenter gestreamt. Das Cloud-Datencenter stellt den gewünschten Inhalt bereit. Die Content-Provider verfügen entweder über eine eigene Cloudstruktur oder nutzen entsprechende Services der Hyperscale-Cloud-Anbieter (beispielsweise AWS, Azure oder Google). Akamai hat sich über viele Jahre eine führende Position in der Content-Branche geschaffen, weil sich das Unternehmen auf die Geschwindigkeitssteigerung, die Performance von Netzwerken und der Anbindungen konzentriert hat. Das bedeutet, dass Akamai in der Regel weniger als drei Hops vom jeweiligen Endkunden des Content-Providers entfernt sind, da sie bereits über Peering-Vereinbarungen mit allen großen globalen Telekommunikationsunternehmen (China Mobile, AT&T, Verizon, Japan NTT und Comcast) verfügen.

Einschlägige Marktanalysen zeigen, dass der Markt für OTT-TV stetig wächst. Natürlich gibt es noch erhebliche Unterschiede zwischen OTT-TV und dem linearen TV in Bezug auf das Publikum und den TV-Konsum. Eine aktuelle Studie von S&P Global Market Intelligence zeigt, dass die Mehrheit der Haushalte hauptsächlich ihre Online-Inhalte auf ihrem Heim-TV konsumiert. Die klassischen Kabelfernsehanbieter haben diesen Trend erkannt und versuchen jetzt zusätzlich zum klassischen TV-Angebot auch OTT-Dienste zu integrieren. Damit geht das Monopol der klassischen TV-Anbieter verloren und die Kabelanbieter versuchen mit viel Aufwand die Eintrittsbarrieren wieder zu erhöhen. Anbieter von Breitbanddiensten wie beispielsweise Comcast, AT&T und Verizon versuchen viele OTT-Dienste aus ihren Netzen herauszuhalten. Da diese Anbieter die Netze (terrestrisch und drahtlos) besitzen, über die die TV/Videoinhalte übertragen werden, wird der Wettbewerb um den Kunde noch ausgebremst. Noch ist es wichtig, wer die letzte Meile zum Endkunden besitzt. Wer die Hand auf dieser Ressource hat, kann (noch) bestimmen, was der Endkunde an Programmen sieht.

Solche Kämpfe sind jedoch nur eine Übergangserscheinung. Die Zukunft des Fernsehens liegt in den Apps, die dem Nutzer zu seinen Contents führt. In Zukunft wird es egal sein, auf welchem Bildschirm die Inhalte ausgespielt werden. Wird die 5G-Technologie bald ausgerollt, können wir diese Inhalte überall und zu jeder Zeit über die mobilen Verbindungen empfangen. Man muss kein Prophet sein,  um zu wissen, dass die kommende Technik-Generation der Zugang zu den OTT-Diensten sein wird. In vielen Ländern ist das mobile Gerät der einzige Bildschirm, zu dem die Menschen Zugang haben. 

Fazit

Sicher wird es in den nächsten Jahren eine Menge Verwirrung auf dem TV- und OTT-Markt geben. Sicher werden viele klassische TV-Anbieter vom Markt verschwinden und die Marktkonsolidierung wird weiter fortschreiten. Der Nutznießer dieser Kleinkriege wird jedoch letztendlich der zahlende Kunde sein, indem er qualitativ hochwertige Inhalte zu moderaten Preisen erhält.

#Netzpalaver