802.11ax – fährt der Innovationszug ohne uns Europäer ab?

Ralf Koenzen, Geschäftsführer Lancom
Ralf Koenzen, Geschäftsführer Lancom

Langsam aber sicher nimmt das Thema immer mehr Fahrt in den Medien und der Öffentlichkeit auf: ein neuer WLAN-Standard soll kommen. IEEE 802.11ax wird er heißen und verspricht ein besseres Nutzererlebnis sowie eine effizientere Nutzung der unlizenzierten Frequenzbänder (2,4 und 5 GHz). Am Ende soll der neue Standard einen viermal höheren Durchsatz als IEEE 802.11ac erzielen. Erste 11ax-Modelle wurden schon angekündigt.

Nun stellen Sie sich einmal vor, Sie kaufen in naher Zukunft einen der angepriesenen neuen ax-fähigen Router. Doch auf die Vorfreude folgt schnell Frust, weil der Router im Vergleich zu Ihrem alten ac-Geräten keine oder im besten Fall eine minimale Leistungssteigerung bringt.

Was befremdlich klingt, ist zurzeit jedoch Realität. Zumindest bei uns in Europa. Ein Statement von Ralf Koenzen, Gechäftsführer von Lancom.

Die Crux mit den Standards

Überall auf der Welt sorgen Normen dafür, dass der Funkverkehr in den einzelnen Frequenzbereichen klar geregelt wird. So wird zum Beispiel sichergestellt, dass sich die Geräte untereinander nicht stören und die Frequenzen sinnvoll genutzt werden.

Wie alle jüngeren WLAN-Standards nutzt auch 802.11ax den 5 GHz-Bereich. In Europa wird der Funkbetrieb im 5 GHz-Band von der Norm EN 301 893 geregelt. Im Klartext heißt dies, dass jedes Gerät, das im 5 GHz-Band funkt, die EN 301 893 in ihrer gültigen Fassung (Version 2.1.1) voll erfüllen muss. Andernfalls darf es nicht in Betrieb genommen werden.

Gerade das 5 GHz-Band ist für 802.11ax von großer Bedeutung, denn genau hier sollen bestimmte Mechanismen für bessere Leistung sorgen. Und genau hier liegt das Problem.

Um nämlich eine hohe Leistungsfähigkeit für WLAN-Geräte zu ermöglichen, gewährt ihnen der EN 301 893 einige Privilegien: So dürfen WLAN-Geräte für die Adaptivität die Mechanismen Preamble Detection und Energy Detection (PD/ED) nutzen, um eine bessere Leistung zu erzielen. Dumm nur, dass dies ausschließlich für die WLAN Standards IEEE 802.11a/n/ac gilt.

Für 802.11ax-Geräte heißt das schlicht eines: sie dürfen die Mechanismen PD und ED in Europa nicht nutzen und können ihre volle Leistungsfähigkeit nicht ansatzweise entfalten. Experten fürchten gar, dass sie im schlimmsten Fall eine schlechtere Performance als aktuelle 11ac Wave2-Geräte erzielen werden.

Schlechtes Timing

Nun könnten böse Zungen den Standardisierungsorganisationen der EU, in diesem Fall dem European Telecommunications Standards Institute (ETSI), ein schwerwiegendes Versäumnis vorwerfen. Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Das Problem liegt vielmehr in der Chronologie. Als nämlich die aktuelle Version des EN 301 893 entstanden ist, gab es 802.11ax noch nicht. Der Standard wurde folglich in der Norm nicht berücksichtigt.

Um das zu ändern, brauchen wir nun rasch die nächste Version der EN 301 893. Diese muss dann für ax dieselben Ausnahmen zulassen wie für die Vorgängerstandards. Besser noch wäre es, alle zukünftigen WLAN-Generationen ebenfalls zu berücksichtigen. Erste Vorschläge für eine Neufassung liegen bereits vor. Jetzt müssen sie es nur so schnell wie möglich auf die offizielle ETSI-Agenda schaffen, damit die zuständige Arbeitsgruppe mit ihrer Arbeit starten kann. Ansonsten sieht es mit einer reibungslosen Markteinführung von ax in Europa in 2019 düster aus.

Neben dieser besonderen Situation in der EU knirscht und knarrt es übrigens auch beim neuen WLAN-Standard selbst. Erst Ende 2017 fiel der zweite ax-Draft bei der Wi-Fi Alliance und der IEEE-Standardisierungsgruppe 802.11 durch. Daraufhin wurde die offizielle Veröffentlichung des IEEE 802.11ax um ein halbes Jahr auf Ende 2019 verschoben.

Die Wunder des Marketings

Umso erstaunlicher ist es, dass bereits die ersten ax-fähigen Performance-Wunder angekündigt wurden – und das sogar für Enterprise-Kunden. Besonders Unternehmen sind jedoch gut beraten, sich mit Investitionen zurück zu halten, bis ax ratifiziert ist. Wer ein Produkt kauft, dass noch vor der Finalisierung des Standards entstanden ist, läuft sonst Gefahr, später auf inkompatiblen Produkten sitzen zu bleiben. Und wer in Europa wohnt, sollte sich die Performance-Enttäuschung gleich ganz ersparen, solange der ETSI-Standard nicht entsprechend überarbeitet wurde.

Dramatisch ist das noch nicht. Denn bis IEEE 802.11ax kommt und ETSI den 5 GHz-Standard nachgebessert hat, steht mit 11ac Wave 2 eine exzellente, ausgereifte Technologie zur Verfügung, die mit Durchsatzraten von 1,7 GBit/s schon heute schneller ist als die meisten LANs und WAN-Anschlüsse. Zum Flaschenhals wird WLAN also so schnell nicht werden.

Das heißt natürlich nicht, dass ax von der Agenda verschwinden sollte, zu groß ist der wachsende Bandbreitenhunger der Digitalisierung und des Internet of Things (IoT). Und natürlich beschäftigen auch wir uns bereits intensiv mit der neusten WLAN-Generation. Erste LANCOM ax-Geräte sehen wir aber nicht vor 2019. Wenn die Standardisierer ihre Hausaufgaben gemacht haben.

 

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