Warum brauche ich noch ein Tischtelefon?

Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur
Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur

Wenn man weiß, wie man eine komplexe Frage beantwortet, dann weiß man auch, wie man seine Strategien anpasst, wenn dies gefordert ist.

„Sag mir einen Grund, warum ich noch ein Tischtelefon brauche?“ Das ist die Frage, die ich im letzten Jahr immer wieder von meinen Kunden gehört habe. Diese Frage wurde noch viel öfter gestellt, nachdem wir bei einem Kunden eine neue Kommunikationstechnologie aufgebaut hatten. Bei diesem Kunden hatten wir die Netzwerkinfrastruktur neu konzipiert, die notwendigen Redundanzen integriert und uns um die Business-Continuity-Pläne des Unternehmens gekümmert. Wir verbesserten die WLAN-Abdeckung, schafften die Voraussetzung zur Nutzung des Mobilfunks, durchforsteten die Kommunikationsverträge, und migrierten das Telefonsystem von ISDN auf VoIP. Nach Abschluss aller Arbeiten, fragte unser Auftragnehmer höfliche aber bestimmt die folgende Frage: „Sagen Sie mir einen Grund, warum wir jetzt noch die Tischtelefone benötigen?“ Und ich dachte mir: „Warte mal … das ist eine gute Frage.“

Warum fragt unser Kunde diese Frage? In den vergangenen 10 Jahren hat die Konsumindustrie einen starken Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitsplätze ausgeübt. Früher war es umgekehrt. Erinnern wir uns noch daran, als wir vor nicht allzu langer Zeit angefangen haben, unsere Festnetzanschlüsse zu Hause zu kündigen? Irgendwann waren die Mitarbeiter in den Unternehmen auch nicht mehr gewillt, zwei Smartphones herumzutragen (ein privates und ein Smartphone für die Arbeit). Dieser Trend mündete in der Bring-Your-Own-Device-Bewegung.

Inzwischen fragen sich auch viele Mitarbeiter in den Unternehmen, warum sie überhaupt noch ein Tischtelefon benötigen. Zu diesem Themenkomplex werden die folgenden Fragen gestellt:

  • Wenn ich auf meiner Unternehmensnummer angerufen werde, warum klingelt dann mein Unternehmens-Handy und gleichzeitig mein Telefon auf meinem Schreibtisch?
  • Wenn ich über eine in meinem Unternehmens-Handy integrierte App meine Anrufe tätige und meine Nachrichten aussenden kann, warum sollte ich dann noch mein Tischtelefon nutzen?
  • Wenn die Telefonanwendungen als Software in meinen Desktop-Computer integriert sind, worin besteht dann noch der Nutzen eines Tischtelefons?
  • Da ich mich nicht an meinem Schreibtisch befinde und ich trotzdem für alle Anrufer über mein Smartphone erreichbar bin, dann steigert dies meine Produktivität. Warum kann ich diese Lösung nicht ohne Brüche auch am Arbeitsplatz nutzen?

Die neuesten Technologien, eine barrierefreie Zusammenarbeit mit den Kollegen und eine gute Work-Life-Balance gehören zu den drei der sechs Anforderungen, die für die Millennials eine optimale Arbeitsumgebung ausmachen. Durch die Nutzung der eigenen Smartphones oder sogar Tablets und Laptops für die Arbeit in den Unternehmen wird die Flexibilität am Arbeitsplatz erhöht, die Teamzusammenarbeit (mit den richtigen Kommunikationsplattformen) gefördert und resultiert in einer höheren Produktivität, da sich die Arbeit nicht auf die Kernarbeitszeiten  beschränkt.

Bei diesen Denkansätzen geht es nicht darum, die vorhandenen Telefonsysteme oder die VoIP-Services zu eliminieren. Wir diskutieren hier nur den Aspekt der Telefone auf den Schreibtischen der Angestellten. Und wir sprechen auch nicht über die Mitarbeiter, die proprietäre Plattform (FaceTime, Slack, WhatsApp usw.) für die Kommunikation mit anderen Menschen nutzen. Trotzdem verursacht die Beseitigung des Telefons von den Schreibtischen den IT-Mitarbeiter einiges Kopfzerbrechen:

  • Weniger Telefone bedeuten automatisch weniger Geräte die im Netzwerk zu unterstützen sind. Dies kann zum Abbau von Arbeitsplätzen führen.
  • Bedeutet die Umsetzung von BYOD, dass die IT die persönlichen Geräte der Mitarbeiter (Smartphones, Tablets, Laptops) unterstützen muss?
  • Die Fehlerbehebung wird automatisch komplexer. Bei schlechter Sprachqualität auf den Smartphones oder Bluetooth-Geräten (die an den Desktop-PC angeschlossen sind) wird die Fehlerermittlung wesentlich komplexer und meist langwieriger. Will das die Support-Abteilung leisten?

Jede Münze hat mindestens zwei Seiten. Aus diesem Grund sollte man auch andere Argumente berücksichtigen:

  • Die Funkabdeckung bzw. Funkqualität in den Büros ist oftmals nicht optimal.
  • Wird die von der genutzten App verbrauchten Zeiten (bzw. die Datenvolumen) gesondert berechnet?
  • Wer bezahlt die Mobilfunkkosten?
  • Wie gut ist die WLAN-Abdeckung im Unternehmen und lassen sich die über die App geführten Sprachanrufe priorisieren?
  • Entstehen mögliche Zusatzkosten?
  • Kann die VoIP/UC-Anwendung den Desktop-PC verlangsamen?
  • Wie wird die VoIP/UC-Anwendung aktualisiert und wie werden die auf dem Smartphone gelagerten Daten gesichert?

Das Problem vieler IT-Abteilungen besteht darin, dass sich diese jeder Innovation versperren. Die Nutzer haben inzwischen in Eigeninitiative ihre eigenen Anwendungen und Endgeräte in die Unternehmenswelt integriert und die Blockade der IT umgangen. Dadurch entsteht aus Sicht der Unternehmenssicherheit eine gefährliche Situation. Die Anwender benötigen dringender denn je die Unterstützung der IT. Daher muss die IT ihren Blockadekurs gegen die Consumer-Technologie aufgeben und registrierten Anwendern einen möglichst uneingeschränkten Zugriff auf das Netzwerk bereitstellen. Nur so gewinnt die IT die Möglichkeit zur Steuerung und zur Kontrolle der Netz- und Anwendungszugriffe zurück. BYOD ist mehr als eine Modeerscheinung der Nutzer und die IT-Abteilungen in den Unternehmen müssen lernen, wie man mit den Consumer-orientierten Funktionen leben kann. Anstatt diese zu bekämpfen, sollten die Anwender in die Sicherheitskonzepte eingebunden werden. Nur so lassen sich die Verwaltung, das Management, die Betriebskosten und die durch die IT entstehenden Risiken im Sinne des Unternehmens regeln. Und gegebenenfalls dann lassen sich auch die herkömmlichen Tischtelefone eliminieren.