Kommt endlich der Durchbruch für WebRTC?

Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur
Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur

Eine Vielzahl von Faktoren haben die Einführung von WebRTC bisher behindert – jetzt soll alles ganz schnell gehen.

Beginnen wir mit der WebRTC-Geschichte. Meine WebRTC-Zeitmaschine verfügt über folgende Aufzeichnung: Während eines Bird of a Feather (BoF) Meetings (März 2011) im IETF zum Thema „RTC im WWW“ wurde diese Technologie erstmals öffentlich erwähnt. Damals verkündete Cullen Jennings von Cisco, dass er gerne eine Führungsposition in einer RTCWeb-Arbeitsgruppe, einnehmen würde. Er gab jedoch zu bedenken, dass die Arbeit dieser Arbeitsgruppe mehr als fünf Jahre in Anspruch nehmen könne und kein Mitglied der Gruppe sollte die Herausforderung unterschätzen. Alle BoF-Teilnehmer hielten diese Aussage für einen Scherz. Wie konnte die Definition eines Stückchens Technologie so lange dauern?

Inzwischen schmunzelt niemand mehr über den prognostizierten Zeitrahmen, denn es sind mittlerweile viele Jahre ins Land gegangen, ohne dass ein endgültiger WebRTC-Standard verfügbar wäre.

Unter Web-Real-Time Communication (WebRTC) versteht man eine Sammlung von Protokollen und APIs, die eine Echtzeit-Kommunikation über das Web ermöglichen. WebRTC entsteht durch die Bereitstellung dieser Technologie in den gängigen Browsern. Dadurch steht dem Nutzer aus seinem Webbrowser heraus die Mechanismen für Sprach- und Videoanrufe sowie die gemeinsame Nutzung von Daten zur Verfügung. Mit WebRTC steht somit eine Click-to-Call-Funktionen in praktisch jeder Anwendung bereit, ohne dass vom Benutzer Plug-Ins zu installieren oder zu verwalten sind. Eine Peer-to-Peer-Kommunikation ermöglicht bei WebRTC auch die direkte Verbindung zwischen zwei Endpunkten, ohne dass hierfür teure oder komplexe Telefonie- und Videoinfrastrukturen erforderlich wären. Darüber hinaus lassen sich mit WebRTC auch Dateitransfers, Chats und Desktopsharing realisieren.

Die Übertragung bei WebRTC-Anwendungen erfolgt über SRTP (Secure Real-Time Transport Protocol) in Verbindung mit einer gezielt ausgehandelten Direktverbindung. Auf diese Weise wird der Kommunikationsstream direkt von Browser zu Browser übertragen, ganz ohne Zwischenschaltung eines Streamingservers. WebRTC stellt Punkt-zu-Punkt Verbindungen her (über die Protokolle STUN und ICE) und gewährleistet eine äußerst sichere Verschlüsselung mittels DTLS. Generell sind bei WebRTC auch keine Benutzerkonten nötig. Es müssen keinerlei persönlichen Daten angegeben werden. WebRTC ist sicher und damit für Business-Anwendungen bestens geeignet.

In der Vergangenheit haben jedoch Kämpfe um Standards und Codecs eine flächendeckende Einführung von WebRTC verhindert. Die Hersteller der Browser-Lösungen konnten sich relativ schnell auf eingebettete Sprach-Codecs einigen, aber im Videobereich ließ eine Lösung lange auf sich warten. Google wollte seine VP8-Lösung als Standard festschreiben lassen, während sich die Wettbewerber am H.264-Video-Codec orientierten. Nach langen Grabenkämpfen einigten sich die IETF-Arbeitsgruppen darauf, in den WebRTC-Lösungen sowohl den H.264-  als auch den VP8-Codec zu unterstützen. Leider verbreiteten sich zu diesem Zeitpunkt bereits die neueren H.265- und VP9-Codecs und verhinderten so eine Einigung. In der Konsequenz startete die Allianz für Open-Media (AOMedia) – mit den Mitgliedern Amazon, Apple, Cisco, Facebook, Google, IBM – mit der Definition eines neuen quelloffenen Video-Codecs.

Auf der Browserseite stellen Chrome, Firefox und Opera bereits seit langer Zeit eine WebRTC-Unterstützung bereit. Microsoft integrierte WebRTC erst mit der Veröffentlichung seines Edge-Browsers. Dies ging jedoch nicht ohne Probleme ab. Microsoft unterstützte in seiner Lösung die Object-Real-Time-Communications (ORTC), was sich als alternativer Ansatz für WebRTC-APIs herausstellte. Apple, einem der größten Browser-Hersteller, stellt erst seit der Safari Version 11 eine eingebettete WebRTC-Bibliotheken bereit.

Trotzdem haben keine WebRTC-basierten Dienste die Dominanz von Microsoft-Skype, Google-Hangouts oder Apple-Facetime im Bereich der Sprach- und Videotelefonie infrage gestellt oder den klassischen UC-Anbietern das Geschäft gestört. WebRTC hat auch nicht die dedizierten Softphone-Apps eliminiert und auch nicht zur massenhaften Implementierung von Click-to-Call-Implementierungen geführt. Eigentlich versprach uns die Kommunikationsindustrie mit einer WebRTC-Implementierung, dass die Website-Besucher direkt mit Unternehmen sprechen können, ohne ein Telefon in die Hand nehmen zu müssen.

Trotzdem sind wir von WebRTC bereits umzingelt. Die meisten Web- und Videokonferenzlösungen und auch die UCaaS-Anbieter stellen inzwischen einen WebRTC-basierten Zugriff auf Meetings bereit. Auch nutzen viele Entwickler die WebRTC-Bibliotheken in dedizierten Desktop- und mobilen Apps, um die Unterstützung von Sprach-, Video- und Datenfreigaben zu realisieren. Eine kleine Anzahl von Unternehmen stellen über ihre Websites Click-to-Call-Optionen bereit. Dabei werden die Browserinformationen mit den eingehenden Anrufen verknüpft und der Kundendienstmitarbeiter kann einen Kunden individuell erkennen.

Aufgrund der Realitäten die durch die lautlose Einführung von WebRTC entstehen, müssen die Unternehmen sicherstellen, dass ihre Management-, Sicherheits- und Anwendungsstrategien angepasst werden. Nur so können ihre Mitarbeiter, Partner und Kunden die quasi unbegrenzten Möglichkeiten nutzen, die sich durch die WebRTC-Kommunikationsdienste bieten. Die meisten Session-Border-Controller (SBC) beiten bereits integrierte Richtlinienverwaltungen für WebRTC-Verbindungen. Zusätzliche Bibliotheken von Anbietern wie beispielsweise Callstats.io sorgen für die Leistungsanalyse von WebRTC-Sitzungen.

Mit WebRTC stehen den Anwendungsentwicklern alle notwendigen Werkzeuge zur Verfügung, um weitere webbasierte Anwendungen mit integrierten Sprach-, Video- und Datenkommunikationsfunktionen zu realisieren. Natürlich müssen in die Basiskomponenten noch zusätzliche Funktionen integriert werden, um die benötigte Leistung und Sicherheit zu gewährleisten. Auch wäre es an der Zeit, dass sich die Normungsgremien nicht mehr gegenseitig behindern und bekämpfen, sondern Video-Codecs entwickeln die sich auch in der Zukunft weltweit bewähren.

#Netzpalaver