Lassen sich die Voraussagetechniken in der Praxis anwenden?

Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur
Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur

Kann man mit den sogenannten „predictive analytics-Techniken“ eventuell auch Netzwerkfehler vorhersagen?

Die Fernsehwerbung ließ mich darüber nachdenken, ob die intelligenten Voraussagetechniken (predictive analytics) auch auf klassische Netzwerke angewendet werden können. In der Fernsehwerbung betrat ein Aufzugsmonteur ein Bürogebäude und sagte dem Pförtner: „Ich bin hier, um den Aufzug zu reparieren.“ Der Pförtner antwortet: „Wir haben kein Problem mit den Aufzügen.“ Der Monteur antwortet darauf hin, dass das Problem erst in drei Tagen auftreten wird. Diesen Wissensvorsprung hat sein Unternehmen durch die Nutzung von IBMs Watson erlangt, auf dessen Basis eine vorausschauende Analyse der Aufzugstechnik durchgeführt wurde.

Können im Bereich der Netzwerke die vorausschauende Analysen dafür sorgen, dass eventuelle Netzprobleme, Ausfälle und die Verschlechterung der Performance vorherzusagen sind? Diese auf den ersten Blick vernünftige Fragestellung erfordert für deren Beantwortung jedoch tiefere Kenntnisse der analytischen Technologien.

Aufzugstechnik versus Netzwerke

Ein Aufzug ist ein fester Teil eines Gebäudes. Das Gebäude verfügt über seine eigene Architektur und Infrastruktur. Ein klassischer Aufzug bewegt sich in der Regel nur auf und ab. Dies wird sich jeden Tag unzählige Male wiederholen. Die Umgebung des Aufzugs ändert sich im Normalfall nicht. Ausnahmen bilden Feuer, Erdbeben oder anderen Naturkatastrophen, die den Betrieb des Aufzugs beeinflussen. Meist verfügt ein Aufzugsunternehmen über eine lange Wartungs- und Betriebsgeschichte über einen Aufzug. Da ähnliche Aufzüge des gleichen Typs in mehreren Gebäuden verbaut wurden, verfügt der Aufzugshersteller logischerweise auch über eine Vielzahl an Wartungs- und Betriebsdaten.

Ein Netzwerk verhält sich völlig anders als ein Aufzug. Ein Netzwerk kann sich aufgrund von Redesign, Verkehrsverhalten, Routing-, Anwendungsänderungen und Software-Modifikationen in seiner Grundstruktur jederzeit ändern. Ein Netzwerk ist im Vergleich zum Aufzug im Betrieb weniger statisch.

Die Service-Provider implementieren im Moment in ihren Netzwerken Funktionen wie beispielsweise Network-Function-Virtualization (NFV) und Software-Defined-Networks (SDN). Diese Werkzeuge sollen dazu beitragen die Bereitstellung, die Abrechnung und den Betrieb der Netze zu optimieren. Eine der Aufgaben dieser Technologien besteht darin, auf Anforderung des Kunden, die geforderten Netzressourcen und Übertragungskapazitäten so schnell wie möglich bereitzustellen. Wir sprechen hier von Änderungswünschen, die im Minuten- statt im Wochenbereich realisiert werden sollen. Diese Dynamik erschwert natürlich die genaue Voraussage des Netzwerkbetriebs. Egal welche Daten vom Analysesystem gesammelt werden, es handelt sich bei einem Netzwerk immer um ein dynamisches (nicht statisches) Gebilde. Daher kann die Analyse auf sehr wenig historische Daten zurückgreifen. Zwangsläufig fallen die Prognosen aufgrund der geringen Datenlage schwächer aus.

Grundlage der Vorhersagetechnik

Die Vorhersagetechnik basiert auf den Prozessen des maschinellen Lernens (ML) und der künstliche Intelligenz (KI). Die künstliche Intelligenz lässt sich prinzipiell in jedem Gerät implementieren, welche seine Umgebung (Netzwerk) kontrolliert, die entsprechenden Parameter misst und entsprechende Maßnahmen ergreift, die dazu beitragen, das Ziel einer Vorhersage des Netzwerkbetriebs, zu erreichen. Die künstliche Intelligenz wird heute eingesetzt, wenn eine Maschine menschliche Funktionen wie Lernen und Problemlösung imitiert. Das maschinelle Lernen gibt Computern die Möglichkeit, aus Daten zu lernen, ohne explizit im Voraus auf ein entsprechendes Ereignis programmiert zu sein.

Die Vorhersagetechnik hat sich im Laufe der Jahre verbessert und profitiert von den Fortschritten in der Entwicklung der künstliche Intelligenz und der verwandten Bereiche. IBMs Watson ist ein Beispiel für diesen Implementierungsprozess. Die Grenzen der künstlichen Intelligenz bestehen jedoch darin, dass die Genauigkeit der Vorhersagen noch immer von der Qualität der gesammelten Daten abhängt.

Vorhersage der Netzwerkleistung

Neue Prognosealgorithmen können zur Verwaltung und zum Management von Netzwerkressourcen beitragen. Das sogenannte „deep learning“ kann ein nützliches Werkzeug für die Optimierung der Netzwerk-Performance und der Übertragungsqualität sein. Das Deep-Learning ist ein Teil des maschinellen Lernens, das im Gegensatz zu aufgabenspezifischen Algorithmen, auf der Darstellung von gelernten Daten basiert. Die Architekturen des Deep-Learnings sind heute schon in der Lage, auf gewissen Gebieten ähnliche Ergebnisse zu liefern wie menschliche Experten. Ein solches Werkzeug könnte beispielsweise die Performance im Netzwerk für die übermittelten Datenströme bereitstellen und bedarfsgerecht für eine Erhöhung der Übertragungskapazitäten in Echtzeit zu sorgen.

Auf Basis der Vorhersagetechniken lassen sich Datenverkehrstrends und -muster anhand der individuellen Nutzung untersuchen, um rechtzeitig den Administrator vor möglichen Problemen zu warnen. Die guten Vorhersageanalyse-Tools sind heute bereits in der Lage, die Auswirkungen von Änderungen vorherzusagen und der diese Informationen nutzende Techniker wird vor falschen Entscheidungen geschützt.

Aktive Verteidigung

Die Angriffe auf die Sicherheit werden immer komplexer und anspruchsvoller. In den Unternehmen wurden inzwischen ein ganzes Abwehrbollwerk gegen Hacker oder sonstige Angreifer errichtet.

Doch die Angreifer finden immer öfter Wege diese Abwehrmechanismen zu umgehen und die für den Schutz genutzten Systeme und Software bieten immer weniger Sicherheit. Die Vorhersagetechniken lassen sich auch zum schnellen Erkennen von Sicherheitsverletzungen nutzen. Diese Werkzeuge können auch Hinweise und Warnungen auf verdächtige Verhaltensweisen der Nutzer der Systeme geben.

Lässt sich die Vorhersagetechnik in der Praxis nutzen?

Die Vorhersagetechniken stecken noch in den Kinderschuhen und müssen für den Einsatz in Netzwerken noch ausreifen. Verfügt ein Unternehmen eine Menge von relativ statischen Netzwerken, wird die aktuelle Vorhersagetechnik wahrscheinlich funktionieren und einen praktischen Nutzen liefern. Sobald jedoch NFV und SDN im Unternehmen genutzt werden, wird die Vorhersagetechnik auf keine nutzbaren Daten mehr zugreifen können. Ursache ist die noch unausgereifte Vorhersagetechnik, die aufgrund der Dynamik der Anwendungen und der Übertragungsressourcen (und der sich ständig ändernden Netzparameter) im Unternehmen nie genug Informationen kumulieren kann, um die Performance adäquat berechnen zu können.

Fazit

Die von den Techniken des maschinellen Lernens (ML) und der künstliche Intelligenz (KI) gelieferten Ergebnisse basieren immer auf den zur Analyse bereitgestellten Informationen. Daher sollte man nicht automatisch bei den von den ML- und KI-Techniken produzierten Daten davon ausgehen, dass diese korrekt sind und die Realität in den Netzen darstellen. Die Ergebnisse sollten immer hinterfragt und hinreichend überprüft werden.

#Netzpalaver