Die Auswirkungen, wenn es keine Neutralität mehr im Netz gibt

Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur
Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur

Wenn die Netzneutralität dem Kommerz geopfert wird, dann sind lang anhaltende Probleme zu erwarten.

Laut Wikipedia bezeichnet die Netzneutralität die Gleichbehandlung von Daten bei der Übertragung im Internet und den diskriminierungsfreien Zugang bei der Nutzung von Datennetzen. Netzneutrale Internet-Anbieter behandeln alle Datenpakete bei der Übertragung gleich, unabhängig von Sender und Empfänger, dem Inhalt der Pakete und der Anwendung, die diese Pakete generiert hat.

Wird zukünftig die Netzneutralität abgeschafft, dann winkt das große Geld für die Internet-Provider. Diese Unternehmen wären dann die Wegelagerer des Internets und könnten je nach Datenstrom entsprechende Wege- bzw. Prioritätsgebühren kassieren. Das Ende der Netzneutralität wird daher viele dauerhafte Probleme schaffen:

  • Die Gewinner werden die Anwälte sein: Jede erdenkliche neue Theorie, wie ein Unternehmen seine Interessen durchsetzen kann, wird von den Gerichten entschieden. Heute ist das Übertragungsprinzip einfach und simpel: Jeder Verkehr erhält die gleiche Priorität. Daher kann zwar der Multimedia-Verkehr eine Priorität aufweisen, aber diese wird von den Providern nicht garantiert.
    Wird die Netzneutralität abgeschafft, werden wir in ein Zeitalter des Hauens und Stechens eintreten. Jeder ISPs, Telekommunikationsanbieter, Carrier und Interconnect wird dafür sorgen, dass sein Verkehr die höchste Priorität erhält und die anderen Verkehre sich hinter den Interessen des jeweiligen Providers einzugliedern hat. Es sei denn, der Verursacher eines Transitverkehrs bezahlt für dessen Priorisierung. Die Brieftaschen werden daher in Zukunft bestimmen, was im Internet übermittelt wird.
  • Der Verkehr darf gedrosselt und sogar verworfen werden: Durch die Netzneutralität müssen die Daten und Services von den Providern alle mit dem gleichen Tempo übermittelt werden. Fällt die Netzneutralität weg, dann wird es für den Transport der Daten über jeden Backbone entsprechende Maßnahmen geben und der Transport über einen Backbone wird mit einer Mautgebühr verbunden sein. Die egalitäre Behandlung der Verkehre würde damit aufgehoben und es könnten an jedem Kreuzungspunkt zwischen den Providern neue Mautstellen eingerichtet werden.
  • Streaming-Daten werden dominieren: Zentraleuropa und insbesondere Deutschland hinkt – was die für die Unternehmen und den Consumer bereitgestellten Verbindungsgeschwindigkeiten angeht – den führenden Volkswirtschaften hinterher. Trotzdem steigen viele Unternehmen in den hart umkämpften Internet/Telefonmarkt ein. Die hohe Nutzung des Internets bzw. der Telefonnetze durch HD-Filme in Zusammenhang mit den Datenvolumen der Anbieter, hat deren Marketinglügen aufgedeckt. Die bisher verkauften „unbegrenzten“ Datenvolumen der Telekommunikationsunternehmen und Mobilfunkbetreiber sind in Wahrheit nicht das Papier wert, auf denen diese verkündet wurden.
    Startet man eine Streaming-Episode seiner Lieblings-TV-Show in HD, werden die Datentransportkosten steigen. Die bisher verfügbaren Netze sind nicht für die Übertragung von Millionen gleichzeitiger Datenströme ausgelegt. Die bandbreitenhungrigen Apps werden zu einem Umdenken der von den Providern angebotenen Datenvolumen führen bzw. die unterschiedlichen Medientypen werden entsprechend den Interessen des Providers gedrosselt.
  • TOR und ähnliche Dienste werden verschwinden: Peer-to-Peer-Netzwerke wie „The Onion Router (TOR)“ sind derzeit nur schwer oder nicht zu kontrollieren und diese Komponenten nutzen alle Bandbreite, die ihnen zur Verfügung steht. Vergleicht man den Einfluss der Recording Industry Association of America und Motion Picture Association of America mit den TOR-Netzwerken, dann wird man verstehen, dass die TOR-Ressourcen zukünftig extrem gedrosselt werden. Wahrscheinlich wird man diese Ressourcen zukünftig nicht mehr vernünftig nutzen können. Durch die Abschaffung der Netzneutralität entsteht eine hierarchische Kontrolle und das Internet wird sich in ein sternförmiges Netz verwandeln.
  • Die Netzwerke werden die Reichen bzw. die Großen bevorzugen: Die Interconnections der ISPs wurden bisher nicht gedrosselt. Die ISPs könnten mit dem Wegfall der Netzneutralität versuchen, anderen Carrier oder anderen ISPs auf ihre Router mit nicht gedrosselten Geschwindigkeiten umzuleiten. Für kleinere Provider besteht das Risiko, dass diese quasi verhungern können, indem die größeren Provider die bereitgestellten Services drastisch verteuern bzw. die verfügbaren Bandbreiten drosseln. Die großen Betreiber könnten sich zu einem Konsortium zusammenschließen und so eine Datenautobahn für deren privilegierte Kunden realisieren.
    Ohne Netzneutralität kann jeder Datenstrom wie ein Gartenschlauch willkürlich abgedreht werden, bis der Verursacher des Datenstroms bereit ist mehr für das Privileg der besseren Behandlung zu bezahlen.
  • Die Kosten bzw. der gedrosselte Betrieb führen zum Tod der freien WLANs: Wegen der höheren Transportkosten für die Daten werden solventere Unternehmen gegenüber den Klein- und Privatnutzern bevorzugt. Dies führt auch dazu, dass die freien WLANs in den Cafés, den Restaurants, den Gaststätten und den öffentlichen Plätzen verschwinden werden.
    Die mobilen Gamer und die exzessiven Mediennutzer werden schnell feststellen, dass die eigenen Dienste des betreffenden Mobilfunkanbieters gegenüber anderen Anwendungen priorisiert werden. Der Wettbewerb bleibt bei diesen Lösungen auf der Strecke. Will man beispielsweise eine App von Microsoft nutzen, weil diese preiswerter als eine Telekom-App ist, dann wird man unter Umständen feststellen, dass die Apple-Apps momentan zum niedrigsten Preis – aufgrund eines nur heute gültigen Partnerschaftsrabatts – angeboten wird.
  • Die Überwachung von SLAs wird sehr schwierig: Ohne eine entsprechende Neutralität wird das Monitoring, die Analyse und die Überwachung der Geschwindigkeitsreduzierungen ungeheuer schwierig. Gehören eines Tages die Datenbremsen zum Alltag, kann man nicht mehr genau feststellen, welche Dienste bzw. welche Leistungen man zu bezahlen hat. Welche Mengen an normalen oder priorisierten Daten wurden übermittelt? Wie viele Profile wurden bisher beim jeweiligen Provider angelegt und wie lassen sich diese auditieren? Es wird dann auch keine Flatrate mehr geben. Da man die Qualitätsunterschiede nicht mehr messen kann, weiß man auch nicht, ob die Verfügbarkeit der gebuchten Service-Level auch stimmt.
  • Genaue Messungen werden zum Alptraum und führen zu Rechtsstreitigkeiten: Nehmen wir an, die von uns genutzten Dienste werden mit einer entsprechenden Priorität versehen und für diese wird auch bezahlt. Einige der genutzten Apps werden vom Provider (angeblich) kostenlos bereitgestellt. Was passiert, wenn die Cloud ausfällt oder sich die eigenen Daten nicht mehr synchronisieren lassen? Man muss die eigene Cloud (aus seinem hoffentlich vorhandenen Backup) wieder herstellen. Hierzu wird ein entsprechend langer Upload notwendig. Wird dieser Upload vom Provider wie normale (nicht priorisierte) Daten übermittelt oder wird der Upload über das priorisierte Datenkontingent abgerechnet? Beteiligt sich der Cloud-Anbieter (beispielsweise Onecloud, iCloud, Dropbox, etc.) an den entstandenen Kosten? Wahrscheinlich bleibt man auf den Kosten sitzen und man kann nur an die Kulanz des Providers appellieren.
  • Interconnection schafft Inseln: Die Netze werden im lokalen Umfeld meist von einem oder zwei Providern kontrolliert. Meist ist es ein Unternehmen, dem die Kabel gehören und ein Telekommunikationsunternehmen. Dies sollte nach der Deregulierung der Telekommunikationsdienste den notwendigen Wettbewerb schaffen und die Preise für den Endkunden senken. Im Internet findet man überall Koppelpunkte zwischen den dort agierenden Telcos und den Carriern. An diesen Koppelpunkten (den so genannten Interconnections) werden die jeweiligen Netze miteinander verknüpft. Da diese Netze wiederum mit einer Vielzahl unterschiedlicher Netzwerke verbunden sind, können durch eine intelligente Verkehrsführung Überlasten und Verstopfungen von stark frequentierten Netzwerkverbindungen vermieden werden. Wird die Netzneutralität aufgehoben, dann ist zu erwarten, dass die Telcos und Carrier von den globalen Netzen bis hinab zu der letzten Meile nur noch entsprechend der für den Transport zu erzielenden Entgelte weiterleiten. Dies wird dazu führen dass die teuren Netzwerke höhere Geschwindigkeiten und mehr verfügbare Bandbreiten bereitstellen, während die preiswerteren Netzwerke mehr und mehr verstopfen.
  • Es wird keine übergeordnete Wichtigkeit mehr geben: Bestimmte Verkehre (beispielsweise Notrufe oder Daten vom Katastrophenschutz) werden immer wichtiger sein als die eigenen. Dabei sollte es egal sein, wer man ist. Sobald die Netzneutralität wegfällt, hindert die Carrier niemand mehr daran, dieses Prinzip umzustoßen. In diesem Fall werden die Unternehmen mit den tiefsten Taschen die Wichtigkeit von Daten bestimmen. Das ist wahrscheinlich das größte Problem, welches durch die Abschaffung der Netzneutralität entstehen könnte. Um der Verstopfung zu entkommen, werden wir für unsere Transportgeschwindigkeit bezahlen müssen.