Gibt es etwas Besseres als Echtzeit?

Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur
Mathias Hein, Consultant, Buchautor, Redakteur

Die reine Sprachkommunikation verliert in den Unternehmen und auch im Privatleben zusehends an Bedeutung. Für alle Menschen denen die Telefonie fest in ihrer DNA (Deoxyribo Nucleic Acid) verankert ist, schafft dies Verunsicherung und Konfusion.

Die Echtzeitnatur der Stimme wurde zunächst per analoger Technik, später dann per TDM- (Time-Division Multiplexing-)Verfahren und jetzt mit Hilfe der VoIP-Protokolle, sowohl über die Festnetz- als auch die Mobilfunk-Verbindungen übermittelt. Die Telefonie galt immer als die Königsdisziplin der Kommunikation zwischen den Menschen. Wir denken heute nicht mehr viel über die Errungenschaft der weltweiten Telefonie nach. Gefühlt ist diese Technik seit dem Anbeginn unserer Zeit bereits vorhanden. Außerdem erinnern uns die „Alten“ immer wieder daran, dass die Telefonie um so viel besser ist, als alle Kommunikationstechniken die davor genutzt wurden. Außerhalb der Science-Fiction ist nichts schneller als die Echtzeit. Aus diesem Grund wird der wahrgenommene Wert der Telefonie von uns gegenüber den verfügbaren Alternativen gemessen. Nicht nur die Telefonie erfolgt in Echtzeit, sondern die Sprachkommunikation hat für die Menschen auch einen höheren Nutzen als die meisten anderen Kommunikationsmöglichkeiten.

Seit der Erfindung der Telefonie wurde keine weitere Technologie erfunden, die die Sprachkommunikation verbessern konnte. So dachten wir bis vor kurzem. Aber die Realität geht manchmal eigene Wege. Die E-Mail (Geburtsstunde in der Internet-Ära) brachte eine neue Dimension der Effizienz in die Kommunikation. Die E-Mail hatte jedoch nichts mit der Echtzeit zu tun und es fehlte dieser Kommunikationstechnologie auch die Intimität der Stimme. Die Mobilität hat sich als Telefonvariante fest etabliert und hat bereits viele klassische Kommunikationsverfahren ersetzt. In der Frühzeit der Handys konnte sich niemand vorstellen, welchen Nutzen diese Geräte an den Arbeitsplätzen bringen werden. In den Anfangstagen der Handys wunderte man sich über die hohen Kosten und die relativ schlechte Qualität (welche bis heute noch nicht zu 100 Prozent behoben sind).

Was könnte besser sein als die Echtzeit?

Die Sprachkommunikation wird auch in Zukunft wichtig bleiben. Dabei wird es egal, ob die traditionellen Tischtelefone durch mobile Geräte oder webbasierte Optionen ersetzt werden.

Aber die Welt bleibt nicht stehen und wir wissen inzwischen, dass die klassische Sprachkommunikation ihre Vormachtstellung gegen das Messaging verliert. Für alle, die eine Telefon-DNA in ihren Adern fließen haben, ist eine solche Aussage natürlich verwirrend. Wie kann ein Produkt, das weitgehend kostenlos erhältlich ist (und auch oftmals nicht den harten Unternehmenskriterien entspricht) eine ernsthafte Alternative am Arbeitsplatz für die Telefonie darstellen? Die Telefonie arbeitet im Echtzeit-Modus und die Qualität und Zuverlässigkeit dieser Technologie ist so gut, dass die Nutzer dafür sogar Gebühren bezahlen.

Der Wandel wird vor allem durch den generationsübergreifenden Wandel von den digitalen Immigranten zu den digitalen Eingeborenen geprägt. Aber das ist nicht der einzige Grund. Die Millennials (Generation Y) bevorzugen das Messaging über die reine Telefonie. Aber auch die digitale Immigranten nutzen die neue Art der Kommunikation in großen Maße (vor allem diejenigen, die mit der Realität täglich konfrontiert werden und die erkennen, dass dies der einzige Weg ist, um mit ihren Kindern kommunizieren zu können). Inzwischen gehört das Messaging bereits zu den Standardmechanismen auf der Arbeit.

Die Telefonie verliert nicht an Boden, weil Echtzeit inzwischen weniger wichtig geworden ist, sondern die in Echtzeit abgewickelten Kommunikationsprozesse sind oft ineffizient. Daher überlegt sich der Nutzer genau, welchen Wert ein Kommunikationsprozess für ihn hat. Die meisten Ad-hoc-Aufrufversuche enden in der Voicemail, selbst wenn mir der Anwesenheitsstatus des Angerufenen sagt, dass dieser verfügbar wäre. Außerdem hört niemand die hinterlassenen Nachrichten ab, geschweige denn, beantwortet den Anruf. Stattdessen schreibt man einen kurzen Text, erklärt was man möchte und telefoniert unter Umständen danach.

Das Paradoxe: Die Benutzer müssen viel weniger Zeit und Mühe aufwenden, um über Messaging zu kommunizieren, als dies bei „echten“ Aufrufen der Fall wäre. Die Benutzer haben das Messaging schleichend (aber innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne) akzeptiert und untergraben dadurch den Nutzen der Echtzeitkommunikation und somit die Investitionen in die klassischen Kommunikationstechnologien.

Im Moment wird das Messaging in erster Linie von Person zu Person genutzt. Allerdings wird mit dem Internet der Dinge die künstliche Intelligenz und das Machine-Learning in die Unternehmen Einzug halten und die Prozesse und Betriebsabläufe automatisieren. Chatbots sind bereits die heißesten Technologien im Jahr 2017 und das Messaging wird zur Plattform für eine automatisierte Person-to-Maschine-Kommunikation.

Chatbots sind textbasierte Dialogsysteme. Sie bestehen aus einer Textein- und -Ausgabemaske, über die sich in natürlicher Sprache mit dem dahinterstehenden System kommunizieren lässt. Technisch sind Chatbots momentan näher mit einer Volltextsuchmaschine verwandt als mit künstlicher Intelligenz. Mit der steigenden Computerleistung können Chatbot-Systeme allerdings immer schneller auf immer umfangreichere Datenbestände zugreifen und daher auch intelligente Dialoge für den Nutzer bieten. Solche Systeme werden auch als virtuelle persönliche Assistenten bezeichnet. Diese Konzepte sind eingebettet in ein noch größeres Konzept: der digitalen Transformation. Die Sprachverarbeitung verändert dabei die Rolle der klassischen Sprache. Die Telefonie wird uns als Echtzeitkanal erhalten bleiben, doch der Nutzungsbereich der Sprache wird sich in die künstliche Intelligenz und das Machine-Learning verlagern. Amazonas Alexa, Allo, Google-Now und Google-Home sind Hinweise auf die Zukunft.

Die IT darf diese Veränderungen nicht ignorieren, denn die Treiber der Innovation kommen nicht mehr aus der klassischen IT. Google und Facebook engagieren sich besonders bei der Realisierung der nächsten Chatbot-Welle. Wird dies Realität, dann wird Telefonie nicht mehr Teil der neuen Kommunikationslösung sein. Diese neue Sprachanwendung wird von der Person zur Maschine erfolgen. Diese Kommunikation wird in einem Messaging-Framework ablaufen, in dem die Echtzeit nicht mehr die oberste Priorität aufweist.