Die Telefonanlagen waren nie weg

Wer braucht schon „UC“, wenn man eine Software-basierte TK-Anlage erhalten kann, die dazu noch als klassisches Produkt oder aus der Cloud heraus angeboten wird?

Ich habe die Bezeichnung „Unified-Communications“ noch nie gemocht. Ich bevorzuge den Begriff „Telefonanlage“. Aber dieser Begriff ist inzwischen leider negativ besetzt und provoziert teilweise nur noch ein mildes Lächeln. Trotzdem sind Telefonanlagen noch immer sinnvoll und scheinen ein neues Leben zu bekommen. Ich gebe zu, dass der Begriff „Telefonanlage“ auch ziemlich dumm ist, aber die meisten Menschen verstehen darunter dasselbe. Eine Telefonanlage bezeichnet eine Nebenstellenanlage die eine Vermittlungsfunktion für mehrere Endgeräte wie Telefon, Fax, Anrufbeantworter, sowohl untereinander als auch mit einer oder mehreren Leitungen des öffentlichen Telefonnetzes verbindet.

Wie bei den meisten „alten“ Technologien, entwickelten sich die TK-Anlagen aus rein mechanischen Geräten hin zu digitalen Systemen auf Basis von Mikroprozessoren. Bis in die späten 1970er Jahre waren Telefonanlagen mechanisch in offener Gestellbauweise oder Metallschränken aufgebaut. Sie bestanden im Wesentlichen aus Drehwählern und Hebdrehwählern, welche verschieden Aufgaben hatten (Anrufsucher, Gruppenwählern, Leitungswählern) sowie Teilnehmerschaltungen, Amtsübertragungen und einem Vermittlungsplatz. Diese Geräte wurden in den 1980er Jahren durch volldigitalisierte Anlagen abgelöst, deren grundsätzlicher Funktionsbestandteil ein Koppelfeld war und dessen Ein- und Ausgangsleitungen durch ein Steuerwerk geschaltet wurden. Ab dem Jahr 2000 kamen immer mehr voll IP-basierte Lösungen zum Einsatz und damit die Abkehr von Leitungsvermittlung hin zu reiner Paketvermittlung der digitalisierten Sprachdaten.

Es gibt eine weit verbreitete Annahme, dass Evolution der Telefonanlagen durch VoIP gestoppt wurde und daher etwas Neues (a la Unified-Communications) diese „veraltete“ Technologie ersetzt hat. Es ist jedoch eine Tatsache, dass alle UC-Systeme mehr oder weniger alle bisher in Telefonanlagen verfügbaren Funktionen auch bereitstellen. Da das Neue das Alte ablöst ist es zwangsläufig, dass die Mehrheit der Nutzer inzwischen Unified-Messaging anstelle von Voicemails, SIP-Trunks statt S2M-Verbindungen und Pop-up-Call-Infos anstelle von CTI nutzt.

Als die UC-Killerapplikation wurde Instant-Messaging bezeichnet. Diese Applikation kannten und nutzten die Anwender bereits seit einigen Jahren im Internet. Da immer mehr Internet-Anwendungen in die Telefonanlagen integriert wurden, veränderte sich die Telefonanlage zusehends und die Neuerungen verwirrten die Kunden. Das Marketing nutzte daher den Begriff „UC“ immer häufiger und positionierte das neue Produktangebot gegenüber der klassischen Telefonie: „Die TK-Anlage ist tot, daher ist es an der Zeit zum Kauf einer UC-Lösung.“

Jeder akzeptierte die Umbenennung: die Hersteller entwickelten und bauten nur noch UC-Systeme, die Händler verkauften nur noch UC, die Kunden installierten nur noch UC-Lösungen und die Experten erklärten uns, was sich hinter dem Begriff „UC“ verbirgt. Aber der Begriff selbst ist seit jeher eine falsche Bezeichnung. Die neuen Lösungen vereinheitlichten die Kommunikation genauso wenig wie ein PC die Datenverarbeitung persönlicher macht. UC ist daher nur eine bequeme Bezeichnung zur Umschreibung einer modernen Unternehmenskommunikation.

UC ist nicht alles

UC hat zu Vereinheitlichung einiger Aspekte der Kommunikation geführt, aber nicht in dem Sinn, wie es Microsoft-Outlook oder sogar das Smartphone gemacht haben. Es ist eine Tatsache, dass heute ein durchschnittlicher Mitarbeiter in einem Unternehmen über mehr Postfächer und Kommunikationswerkzeuge verfügt als in der guten „vor-unified“ Ära. Die Ursachen sind zum Teil darin zu finden, dass sich die Kommunikationsmöglichkeiten schneller entwickelten als die Enterprise-Systeme.

Der allgemein akzeptierte Begriff der Unified-Communications (UC) subsummiert die folgenden Geschäftsanwendungen bzw. Werkzeuge:

  • APIs,
  • Instant-Messaging und Präsenz,
  • Mobilität,
  • Telefonie,
  • Unified-Messaging und
  • Video (manchmal).

Aus heutiger Sicht war jedoch eine Begriffs- bzw. Namensänderung nicht notwendig. Eine TK-Anlage stellte bereits Telefonie und Voicemail zur Verfügung. Daher erzwangen vermutlich andere Funktionen die Namensänderung. War es die Mobilität? Für fast alles gibt es heute eine mobile Anwendung. Mit der Einführung von mobilen Clients haben wir CRM jedoch nicht zu „Unified-CRM“ geändert. Eine mobile App ist heute einfach nur eine Tatsache des täglichen Lebens – wie auch das Apple-iPhone immer noch ein Telefon bleibt. Das Konzept der Mobilität ist heutzutage sehr wichtig und wird durch die Begriffe „Mobile First“, „Thin Client“ oder auch nur „App“ ausgedrückt. Trotzdem gibt es keinen Grund, den Begriff „Telefonanlage“ aus Gründen der Mobilität zu verändern.

APIs? Eine Programmierschnittstelle, genauer Schnittstelle zur Anwendungsprogrammierung, ist ein Programmteil, welches von einem Softwaresystem anderen Programmen zur Anbindung an das System zur Verfügung gestellt wird. APIs sind wichtig, aber es gelten zu einem gewissen Grad die gleichen Argumente wie bei der Mobilität. APIs gibt es heute in allen Komponenten und daher macht der Begriff „integrierte Kommunikation“ eventuell mehr Sinn als Unified-Communications.

Instant-Messaging (IM) gehört zu den bedeutenden Neuerungen in den Unternehmen. Die unterschiedlichsten Formen des Messagings haben sich fest in den Unternehmen etabliert und sind wichtiger denn je. Aber das IM findet an der Grenze der Unternehmen schnell sein Ende. Die UC-Lösungen sind in der Regel nur als innerbetriebliche Kommunikation geeignet. Dies ist ein Grund dafür, organisationsübergreifende Messaging-Lösungen wie Facebook, Google-Hangouts, Skype, Whatsapp und sogar Twitter immer beliebter werden.

UC und Video haben eine sehr enge Beziehung, zumindest in der Theorie. Video-Interoperabilität ist aus unerklärlichen Gründen einfacher zu realisieren als eine IM-Interoperabilität. Trotzdem ist es in vielen Unternehmen immer noch üblich, separate Video-Produkte und Dienstleistungen zu beschaffen. Will man Video in einem UC-Client nutzen, geht das in Ordnung – aber dann kann man dies mit einem Telefonie-Client ebenfalls machen.

Lang lebe die Telefonanlage

Schauen wir uns jetzt einige der jüngsten UC-Innovationen an: Contact-Center, Breitband-Audio, verbesserte Conferencing-Lösungen, Cloud-Services und viele andere meist sprachbezogenen Technologien.

Aus meiner Sicht ist UC eigentlich nur eine Telefonanlage. Diese hat sich nach der Erfindung des Begriffs „UC“ zwar etwas weiterentwickelt, aber große Entwicklungssprünge wurden seither nicht mehr gemacht. Moderne TK-Anlagen basieren heute auf reiner Software und sind daher in der Lage, jede neue Funktion, neue Dienstleistung und jedes Medium zu integrieren.

Die Analysten werden sich nicht um meine Meinung kümmern und werden nie damit aufhören, Voice-Ports und die Marktanteile der jeweiligen Hersteller zu messen.

Inzwischen werden die alten TK-Anlagen in den Unternehmen durch modernen Telefon-Lösungen (entweder lokal gehostet oder aus der Cloud) ersetzt. Das Produktangebot ist noch wesentlich vielfältiger als vor 15 Jahren. Eine einfache (und sicher nicht vollständige) Suche im Internet ergab folgende Anbieter von Telefonanlagen: Auerswald, Alcatel (ALE), Avaya, AGFEO, Astimax, Cisco, Microsoft, NFON, Mitel, ShoreTel, Unify, …

Fazit

Ich verstehe, dass sich die Sprache ändert. Ich bin damit einverstanden, dass jemandem eine SMS anstelle einer Kurzmitteilung versendet. Ich bin auch damit einverstanden, dass manche Journalisten immer wieder zwischen den Begriffen „IP-Telefon“ und „VoIP-Endpunkten“ wechseln. Im Grunde meinen wir das Gleiche. Daher wäre es jetzt auch an der Zeit für ein Downgrade von „UC“ zurück zu „Telefonanlage“. UC ist nicht tot…. es war nur eine schöne Illusion. Die TK-Anlagen sind weiterhin sehr lebendig und entwickeln sich kontinuierlich weiter. (mh)