Kommunikationsschwachsinn

Die E-Mail-Flut wandelt sich kontinuierlich zum Messaging-Wahnsinn. Das kann nicht gut gehen. Aus diesem Grund müssen wir die Art und Weise verändern, wie wir morgen kommunizieren wollen.

Stimme vom PC: "Sie haben 33.625 ungelesene E-Mails ..."

Stimme vom PC: "Sie haben zwei Hangout-Nachrichten, drei neue Facebook-Nachrichten und eine Twitter-Benachrichtigung... und vergessen Sie nicht, die beiden Sprachnachrichten und die acht LinkedIn-Meldungen ..."

Selbst wenn die Realität noch nicht ganz so verrückt spielt, die von uns genutzten Kommunikationssysteme fordern von uns Zeit und Konzentration und überfordern uns in zunehmenden Maß.

Vor ein paar Monaten sprach ich auf einer Konferenz über die nächste Generation der Kommunikationsanwendungen und wurde in der anschließenden Diskussionsrunde mit einer wichtigen Frage konfrontiert: "Wie kann man sich auf seine Arbeit noch konzentrieren, wenn man immer weitere Kommunikationsanwendung in die Arbeitsumgebung einfügt?

Diese Bedenken teile ich. Das beste Beispiel ist die Nutzeroberfläche meines iPhones. Ich komme mit der Verwaltung der Nachrichten und der Benachrichtigungen von den verschiedenen Anwendungen selten nach. Die schiere Menge an Anwendungen, die ich benutze, um mit meinen verschiedenen Benutzergruppen in Kontakt zu bleiben, ist mir irgendwie außer Kontrolle geraten. Eigentlich sollten mich diese Anwendungen (laut Eigenwerbung der Kommunikationsindustrie) produktiver und agiler machen, aber bei mir ist genau das Gegenteil eintreten und ich jongliere mich mehr schlecht als recht durch die unterschiedlichen Kommunikationswege.

Inzwischen lockt uns die Industrie mit dem Versprechen, dass die neuen Anwendungen zur Verbesserung der Zusammenarbeit unsere E-Mail-Volumen drastisch reduzieren können. Das klingt wunderbar und es wäre fantastisch, wenn sich dieses Verspechen nur ein Mal bewahrheiten würden. In der Praxis ersetzen diese Anwendungen jedoch keine E-Mails, sondern fügen unseren Benutzeroberflächen nur eine weitere Dienstleistung hinzu, die wir verwalten müssen.

Im Endeffekt versucht man die E-Mail-Flut dadurch zu beseitigen, dass die gleiche Nachricht per IM oder einer anderen Text-Message übermittelt.

Also, was ist die Antwort? Wie können wir uns in einer immer komplexer werdenden Kommunikationswelt noch behaupten?

Google als Retter?

Für mich ist Google Apps eines der nützlichsten Technologien die ich seit Jahren gefunden habe. Google liest damit meine E-Mails . das klingt im ersten Moment erst einmal verrückt ... und stellt sich in der Praxis als erschreckend nützlich heraus. Dadurch, dass Google meine Emails liest, kann die Anwendung mir genau die Nachrichten an mich weiterleiten, die ich unbedingt sehen muss.

Ich habe 33.625 ungelesene E-Mails (ohne Spam) in meinem Posteingang. Das sind 33.625 E-Mails, die ich nie geöffnet, gelesen, abgelegt oder gelöscht habe. Durch meine Ignoranz (die Nachrichten nicht zu lesen) habe ich mir fast einen ganzen Monat an Produktivität eingespart. Ich habe die Betreffzeile der meisten der 33.625 ungelesenen E-Mails gescannt, und entschieden, dass diese keine weiteren Aktionen meinerseits erfordern.

Einige meiner Mitmenschen würden 33.625 ungelesene E-Mails in den Wahnsinn treiben. Aber ich sehe nie die Zahl der absolut empfangenen E-Mails. Ich nutze den  Apple Mail-Client nicht. Stattdessen verwende ich die Google Gmail App direkt unter der Apple-Mail-App. Die Google Gmail App zeigt mir jedoch nur vier ungelesenen Nachrichten an. Würde ich die klassische Apple-Mail-App nutzen, wären wir wieder bei 33.625 ungelesenen E-Mails. Beide Anwendungen greifen auf das gleiche E-Mail-Konto zu. Was ist der Unterschied zwischen beiden Anwendungen? Google filtert Online- und Social-Updates, sowie Nicht-Spam-Marketing-Botschaften aus und stellt diese in verschiedenen Ansichten dar. Da mein Fokus nur auf den Nachrichten von Bedeutung liegt, kann der E-Mail-Stau schnell reduziert werden. In der Regel scanne ich die anderen Kategorien nur. Mein Fokus liegt nur auf den vier Nachrichten, die in meinem Posteingang über eine Priorität verfügen.

Als ich auf Google Apps für meine E-Mails umschaltete verbesserte sich nicht nur mein schlechtes Gewissen (wegen der vielen unbeantworteten E-Mails), sondern ich konnte sofort mit dem regelmäßigen Aufräumen meines Posteingangs aufhören. Da die Google-Suchfunktion extrem schnell arbeitet, macht es mehr Sinn schnell nach einer bestimmten E-Mail zu suchen, als langwierig die E-Mails zu ordnen. Da die Speicherung großer Datenmengen immer preiswerter wird, habe ich keinen Grund mehr ständig meine E-Mails zu reinigen. Ein netter Nebeneffekt ist, dass die vielen ungelesenen E-Mails in meinem Posteingang ein erhebliches Problem bei Outlook darstellen würden, diese Probleme sofort mit dem Wechsel zu Google verschwinden.

Google hilft mir dabei die E-Mail-Flut in den Griff zu bekommen, aber was ist mit den unzähligen anderen Apps, die ich regelmäßig verwende?

Natürlich müssen wir unsere Kommunikationsmethoden und Prozesse weiterentwickeln. Die Idee, unsere Online-Kommunikation auf der Grundlage der klassischen Papierpost zu verwalten, hat für mich noch nie Sinn gemacht.

Betrachten wir beispielsweise die CC-Funktion in den E-Mails. (Hinweis für alle jüngeren Leser: "CC" steht für "Carbon Copy"). Ich werde jetzt auch nicht eine Erklärung darüber abgeben, was das Kohlepapier in der Vergangenheit bedeutete. "Carbon Copy" ist ein alter Begriff für einen veralteten Prozess. Das Problem besteht jedoch darin, dass, wenn wir CC in einer Mail benutzen, dem Empfänger nicht sofort ersichtlich wird, ob er auf die E-Mail reagieren (lesen, kurz überfliegen, ignorieren, löschen oder antworten) muss.

Mit den modernen Kommunikationsanwendungen können wir zielgerichtet die Menschen markieren, die etwas mit unserer Nachricht anfangen sollen. Das bringt uns nicht nur Geschwindigkeitsvorteile, sondern hilft uns auch bei der Verwaltung unserer Kommunikationsstränge. Aber wir dürfen dabei nicht in die gleiche Falle treten, wie wir es mit der CC-Funktion der E-Mail gemacht haben. Nicht die ganze Welt muss mit meiner Nachricht beglückt werden. Man muss sich immer wieder fragen: Wer braucht diese Information wirklich? Wer kann aus dieser Information einen Nutzen ziehen? Wie schaffen wir es bei der Vielzahl von parallel genutzten Anwendungen, dass keine wichtige Information durch die Ritzen fällt?

Es gibt keine einfachen Antworten

Normalerweise versuche ich am Ende eines Artikels immer die aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Leider tritt die Industrie in diesem Bereich noch auf der Stelle und hat sich in den vergangenen Jahren kaum weiterentwickelt. Es gibt daher auch keine einfachen Antworten ... keine "drei einfachen Schritte zu Verwaltung ihrer vielen Communications Apps".

Wir verfügen bereits über die Technologie, um diese Probleme zu lösen. Mit dem Fortschritt der künstlichen Intelligenz werden die Computer sicher einen besseren Job machen können und sie werden erkennen, welche Information uns wirklich wichtig ist. Die Herausforderung besteht darin, dass die Anwendungen neue Kommunikationsparadigmen adaptieren.

Der Übergang von der klassischen Post zur E-Mail ging fast reibungslos. Die Ursache des Erfolgs bestand darin, dass die E-Mail dem gleichen Paradigma wie die klassische Post folgte. Wir schreiben eine Nachricht, kleben eine Adresse auf dem Umschlag und versenden die Information. Die Symbole, die wir in E-Mail verwendet haben, sind Bilder von Briefkästen und Umschläge. Der Empfänger erhält die Nachricht, öffnet diese und reagiert darauf individuell (lesen, kurz überfliegen, ignorieren, löschen oder antworten). Dieser Übergang von der klassischen Post zur elektronischen Post war leicht zu bewältigen. Aber gerade die Ähnlichkeit mit der klassischen Post schuf die Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind. Wir nutzen noch immer die überkommenen Methoden und Prozesse der Schneckenpost mit den modernen Techniken und haben deshalb mit erheblichen Einschränkungen zu kämpfen.

Der vollständige Übergang in eine neue Kommunikationswelt geht nicht ohne Probleme und Schmerzen ab. Es wird nicht leichter, um herauszufinden, was wir heute investieren müssen um morgen besser kommunizieren zu können. Wir müssen trotzdem diesen steinigen Weg gehen, damit wir nicht in unserer Message-Flut ertrinken.